Zwei Augenzeugenberichte
Töten per Gesetz
Medien berichten immer öfter von der Debatte um die Todesstrafe in den Vereinigten Staaten oder von Henkern etwa im arabischen Raum. Dabei wird leicht vergessen, dass Hinrichtungen vor rund 60 Jahren auch bei uns Alltag waren.
8. April 2017, 21:58
In den USA werden die Stimmen der Death-Penalty-Gegner immer lauter, aber noch immer spricht sich die Mehrheit der Bürger dafür aus. Auch in Europa hätten nach Umfragen immerhin rund 40 Prozent der Bevölkerung nichts gegen eine Wiedereinführung der Todesstrafe.
Hier zwei Augenzeugenberichte von Exekutionen - der erste stammt aus einem längst vergriffenen Erinnerungsbuch der evangelischen Pfarrers Hans Rieger, der zur Zeit des Nationalsozialismus im Wiener Landesgericht zum Tod Verurteilte geistlich betreute. In dem Gebäude, dass den Wienern so vertraut ist, fanden damals an einem Abend bis zu vierzig Hinrichtungen statt.
Augenzeugenbericht aus der Zeit des Nationalsozialismus
Der Vorsitzende: "Wie heißen Sie?"
Der am Rücken Gefesselte Nr. 1 nennt seinen Namen.
Der Vorsitzende: "Sie wurden wegen Vorbereitung zum Hochverrat zum Tode verurteilt. Eine Begnadigung ist nicht erfolgt. Das Urteil wird jetzt vollstreckt."
Mit der Frage nach dem Namen und den anschließenden drei Sätzen war die knappe Zeremonie bei jeder Hinrichtung erledigt. Stehend hatte der Volksgerichtshof hinter einem Tische in einem einfachen Zimmer den zum Tode Verurteilten erwartet. Nichts ließ zunächst erkennen, dass es bereits das Vorzimmer des Todes war. Durch eine kleine schwarze Tür war der Verurteilte, von zwei Wachebeamten flankiert, eingetreten. Der Blickfang war für ihn der Präsident. So konnte er nicht sehen, dass sechs schwarzgekleidete Männer hinter einem Vorhang hervorgetreten waren und sich lautlos hinter ihn gestellt hatten.
Aber nun war das Stichwort "Der Urteil wird jetzt vollstreckt" gefallen. Von hinten legte sich eine Hand über die Augen des Opfers, links und rechts packten kräftige Hände zu, im Laufschritt ging es nach schneller Beiseiteschiebung eines Vorhangs durch eine offene Tür in einen waschkücheähnlichen Raum, und schon hallte durch das Gerichtszimmer und weiterhin durch den Korridor des Armensündertraktes der dumpfe Aufschlag des niedersausenden Fallbeils. "Man hört sie direkt sterben" murmelte einmal ein bereits Gefesselter an meiner Seite, als er schon auf der Schwelle seiner Zelle stehend darauf warten musste, bis sein Vordermann die Todesmaschine wieder freigegeben hatte. ...."
Der Augenzeugenbericht eines Rechtsanwaltes aus Amerika
Den zweiten Augenzeugenbericht hat uns ein Rechtsanwalt aus Washington übermittelt. Brian Keith Roberts ist von Thema "Töten in zweifacher Hinsicht betroffen: Sein jugendlicher Adoptivsohn wurde am Weihnachtstag 2001 in Washington erschossen. Andererseits vertritt er zum Tod verurteilte Straftäter in ihren Berufungsverfahren. In Texas betreute er einen Klienten, der ironischerweise fast so heißt wie er selbst: Brian Keith Roberson. Da sich über die Jahre zwischen ihnen ein enger Kontakt entwickelt hatte, war Roberts auf Robersons Wunsch bei dessen Exekution anwesend:
"Man ist in einem Raum, der ungefähr die Größe eines geräumigen Kastens hat. Es gibt zwei Seiten. Auf der einen Seite sitzen der Staatsanwalt, ein paar Journalisten, und die Angehörigen des Opfers. Auf der anderen Seite befinden sich die Verwandten des Verurteilten, ein paar Gefängnisbeamte und weitere Journalisten. Die Familie des Verurteilten kann nicht einmal einen Moment für sich sein, weil alle in dem winzigen Raum zusammengepfercht sind.
Dann ziehen sie den Vorhang auf, und man sieht ihn angegurtet auf der Bahre liegen. Sie haben ihm schon vorher die Nadeln für das Gift in die Venen gestochen. Sie fordern ihn auf, letzte Worte zu sprechen. Brian sagte, wie sehr er mich und die Familie geliebt hatte. Dann kommt das Gift - und am Zittern und Zucken seines Körpers konnte ich sehen... Nun, sie behaupten, die Exekution wäre schmerzlos, aber ich habe den Schmerz und die Qual auf seinem Gesicht gesehen, und ich glaube keinen Moment, dass das schmerzlos war."
Dorothee Frank hat für ihr Radiokolleg zum Thema "Migration, Asyl, Einbürgerung" den Leopold-Ungar-Preis in der Sparte Radio erhalten, wie auch Cornelia Krebs für ein "Journal Panorama". Damit gingen beide Radio-Auszeichnungen an Ö1 Produktionen.
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Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 27. November, bis Donnerstag, 30. November 2006, 9:05 Uhr
Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonnentInnen können die Sendereihe "Radiokolleg" (mit Ausnahme der "Musikviertelstunde") gesammelt jeweils am Donnerstag der Ende der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.
Buch-Tipp
Dorothee Frank, "Menschen töten", Walter Verlag, ISBN 3530421979
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