Elias Canettis Jahre im englischen Exil
Party im Blitz
Noch "am Rande des Abgrunds klammert er sich an seine Bleistifte", heißt es in Elias Canettis persönlichen Notaten aus dem Jahre 1973. Bis zu seinem Tod hat er geschrieben, auch an diesem neuen Band, in dem er sich mit seinen Jahren im englischen Exil befasst.
8. April 2017, 21:58
"Party im Blitz - Die englischen Jahre" ist zwischen 1990 und 1994 entstanden. Doch waren diese Texte wirklich für die Veröffentlichung vorgesehen?
Den Erben und dem Verlag scheint's egal zu sein, denn nun versucht man, das Buch als Fortsetzung der dreibändigen Autobiografie zu verkaufen. An der "Geretteten Zunge", der "Fackel im Ohr" und dem "Augenspiel" sollte sich dieser Bericht über Canettis Zeit im englischen Exil aber nicht messen müssen.
Überleben in der "splendid isolation"
Es ist wohl besser, das Buch als etwas Eigenes zu sehen. Es setzt sich aus vielen kleinen Einzelstücken zusammen, aus den losen aneinandergereihten Stücken über Freunde und Bekannte, aus Betrachtungen zur englischen Lebensart und zum Alltag während des Krieges. Canetti zeichnet ein scharfsinnig-witziges Bild einer Gesellschaft, die allein in der splendid isolation überlebt hat und nun dabei ist, den Verlust des Weltreiches zu verschmerzen.
Distanz scheint eine der Haupttugenden der Briten, dazu kommen Contenance, Kälte und der Wunsch, die Welt sicher in Laden und Kästen verstaut und klassifiziert zu wissen.
Die Milburns
Zu seinem Leben in dieser seltsamen Gesellschaft hat Canetti eine Vielzahl skurriler Anekdoten parat. Da sind etwa seine Vermieter, Mr. und Mrs. Milburn, denen er und seine Frau Veza in Kriegstagen zugewiesen werden: ein ältliches Paar mit merkwürdigen religiösen Vorstellungen und großer Liebe zur Poesie.
Und so kommt es, dass Canetti einem verknöcherten ehemaligen Pastor Hölderlin vorliest und erklärt, und dies in Zeiten, da alles Deutsche verdammt wurde.
Was wäre wenn...
Witzig und zugleich beklemmend auch die Geschichte von Oskar Kokokoschka, den Canetti in England wiedertrifft. Kokokschka habe sich die Schuld am Krieg gegeben, erzählt Canetti, er und Hitler hätten sich gleichzeitig um ein Stipendium an der Wiener Akademie beworben. Und wenn nun Hitler und nicht Kokokoschka genommen worden wäre? Dann wäre es zu diesem Wahnsinn nie gekommen.
Adelige und Parvenues
Solche und andere Anekdoten machen das Buch farbig. Gleichzeitig lebt der Band von den Schilderungen der Begegnungen mit Künstlern und Politikern, mit Damen aus der höheren Gesellschaft, mit Adeligen und Parvenues.
All diese Stücke wirken wie Skizzen, unausgearbeitet und roh. Wer die anderen Bücher Canettis kennt, der weiß, wie sehr er an seinen Arbeiten gefeilt hat. Dieser neue Band liest sich jedoch wie ein erster Bericht aus des Dichters Werkstatt.
"Oxford-Ragout" Iris Murdoch
Canettis Abrechnung mit Iris Murdoch ist von bitterem Hass gekennzeichnet: Iris sei das klassische Oxford-Ragout, schreibt er. Überdies trage sie reizlose Wollunterwäsche, habe hässliche Füße und plumpe Bewegungen. Wieso ist er dann zwei Jahre lang mit ihr ins Bett gegangen?
Nebenfigur Veza Canetti
Stellen wie diese machen es einem nicht leicht. Zumal Veza Canetti nur als Nebenfigur vorkommt, ganz so, als hätte sie in seinem Leben kaum eine Rolle gespielt. Dass Canetti in diesen englischen Jahren fast kein Geld verdiente und auf den Verdienst seiner Frau angewiesen war, davon keine Zeile.
Blitz in der Party
Trotzdem ist dieser Band über die "Party im Blitz" nicht allein die Beschreibung dieser englischen Jahren, sondern ebenso Psychogramm seines Autors.
Canetti habe regelmäßig in einem Coffee Shop in Hampstead Hof gehalten, schreibt Jeremy Adler in seinem Nachwort zu dieser "Party im Blitz", er habe dort seine Jünger um sich versammelt.
Er galt als Weiser und Meister, ein moderner Sokrates. Und ein bisschen von dieser Haltung spiegelt sich auch in diesem Buch: Man beobachtet nicht zuletzt auch den Menschen und Autor Elias Canetti und seinen Wunsch, ein Blitz in der Party zu sein.
Buch-Tipp
Elias Canetti, "Party im Blitz. Die englischen Jahre", Carl Hanser Verlag, München 2003, ISBN 3446203508
Links
Internationale Elias Canetti Gesellschaft
Nobel-Preis an Elias Canetti