Ein Cello mit Herz und Historie

Mara

In seinem neuen Roman "Mara" erzählt Wolf Wondratschek die Geschichte eines Cellos. Nicht irgendeines Cellos natürlich, sondern eines Stradivari-Instruments, das in seinem 300-jährigen Leben einem ganzen Reigen von Cellisten gute Dienste erwiesen hat.

Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen, meine Geschichte, wenn ich das darf, die Geschichte eines Cellos. Denn das bin ich, ein Violoncello."

So beginnt Wolf Wondratscheks Erzählung "Mara". Der Held und Ich-Erzähler des Textes ist also ein Cello. Allerdings nicht irgendein Cello, sondern "The Mara", ein Stradivari-Cello, benannt nach dem Cellisten Giovanni Mara. Dieser Mara war, wenn man Wondratschek glauben darf, böhmischer Herkunft und ein Zeitgenosse Mozarts.

300 Jahre Musikgeschichte

Von Mara ausgehend folgt der Autor dem Reigen der Cellisten, die das Instrument gespielt und besessen haben sollen, und landet am Ende des Buches in der Gegenwart, bei Heinrich Schiff, und damit dort, wo ein berühmtes Cello zwangsläufig irgendwann landen müsse: bei einem Österreicher, wohnhaft in Wien, Mozartgasse.

Fast 300 Jahre umspannt Wondratscheks Erzählung. Die eigenwillige Wahl der Erzählerfigur erweist sich dabei als erzählerischer Trick, mit dessen Hilfe ein musikhistorisches Panorama skizziert werden kann.

Barocker Schelmenroman

Der Autor scheint sich in der Musikgeschichte und Musikwissenschaft auch einigermaßen umgesehen zu haben, denn sein Erzähler-Cello doziert zuweilen in recht altkluger Manier über Instrumentenbau und Kompositionslehre. Damit rückt das Buch zumindest in die Nähe der recherchierten Erzählliteratur amerikanischer Prägung, welche "Facts" und "Fiction" zu kombinieren sucht.

Freilich geschieht dies bei Wondratschek auf höchst ironische Weise, weshalb "Mara" eher an einen barocken Schelmenroman erinnert als an einen an historischer Genauigkeit interessierten Zeitroman.

Die Obsession des Künstlers

Das eigentliche Interesse Wondratscheks gilt dem "Menschologischen", wie man mit Polgar sagen könnte. Und in diesem Fall ist es insbesondere der Typus des Künstlers, dessen berufsbedingte Obsessionen und charakterliche Deformationen der Autor zu erkunden sucht.

Vom Konkurrenzneid ist dabei mehr als einmal die Rede, vom autodestruktiven Ehrgeiz und vom Zwang zur Selbstdarstellung. Und auch wenn solche Stellen mitunter ironisch gebrochen sind, bleibt ein schlechter Nachgeschmack.

Liebe und andere Katastrophen

Die zwischenmenschlichen Beziehungen leiden unter der Bedeutung, die die Kunst für den Künstler hat. Und so sind die Liebesgeschichten von Künstlern meist Katastrophengeschichten. Mara, das Erzähler-Cello, sitzt auch diesbezüglich an der Quelle und sein Interesse am Liebesleben seiner Besitzer übersteigt letztlich sogar jenes für Kunst und Instrumentenbau.

Liebesgeschichten machen so den weitaus größten Teil des Buches aus. Wo es aber um Männer und Frauen geht, hebt sich das Historische praktisch von selbst wieder auf und Wondratschek ist, durch die Hintertüre sozusagen, wieder auf ureigenstem Gebiet gelandet: bei der Reflexion und szenischen Darstellung des Geschlechterverhältnisses - freilich aus einem sehr männlichen Blick.

Die Virtuosität der Sprache

Die eigentliche Virtuosität des Buches liegt jedoch im Sprachlichen, auch wenn der Beginn nicht sonderlich geglückt erscheint. Der Autor zeichnet die Zeitreise seines Cellos auch stilistisch nach. Stehen am Anfang der Erzählung barocke Satzgirlanden, so lösen sich Syntax und Wortwahl gegen Ende in flapsiges Neudeutsch auf und man staunt angesichts der Leichtigkeit, mit der Wondratschek über die unterschiedlichsten sprachlichen Register verfügt.

Buch-Tipp
Wolf Wondratschek, "Mara. Eine Erzählung", Hanser, 2003, ISBN 3-446-20361-3

Links
Biografie Wolf Wondratschek
Erzählungen von Wolf Wondratschek