Wolf Biermann übersetzt Bob Dylan

Eleven Outlined Epitaphs

Der junge und noch weitgehend unbekannte Bob Dylan schrieb 1963 ein elfteiliges Poem, das er "Eleven Outlined Epitaphs" betitelte. Wolf Biermann hat dieses Jugendwerk von Bob Dylan nun auf Deutsch nachgedichtet.

Aus Bob Dylans Frühwerk

Kein Mensch darf seine eigene Natur
Verleugnen oder gar vergessen
Im Lieben nicht, auch nicht im Hassen
(denn da gibt's abertausend gute Gründe inner Welt
Millionenmal Naturinstinkte
Milliarden Triebe, ungezähmte
Und es passiert nicht grade oft
Dass auch nur Zwei von unsrer Art
Zusammenpassen


Im Jahr 1963 schrieb der junge und noch weitgehend unbekannte Bob Dylan diese Zeilen in einem großen, elfteiligen Poem, das er selbst mit "Eleven Outlined Epitaphs" betitelte. Nun hat der deutsche Liedermacher und Dichter Wolf Biermann dieses Jugendwerk von Bob Dylan unter dem Titel "Elf Entwürfe für meinen Grabspruch" ins Deutsche übertragen. Es sei, so Biermann, nicht mehr und nicht weniger als die Antrittsrede eines jungen Mannes an die Menschheit.

"Der redet mit der ganzen Unverschämtheit eines jungen Kerls, der die Welt noch nicht kennt und ganz genau weiß, wo es langgeht. Das ist diese Unverschämtheit, die man haben darf, wenn man so jung ist. Und die ist natürlich unerträglich, aber bei einem bedeutenden Dichter wie Bob Dylan interessant,", meint Biermann.

Abrechnung mit dem Establishment

Tatsächlich zeigt sich Dylan in seinem Werk von seiner poetischsten, aber auch von seiner angriffslustigsten Seite. Bissig und salopp rechnet er mit dem System und dem Establishment ab, dazwischen finden sich aber auch nachdenkliche Passagen, wenn Dylan etwa seinem Lehrer Woody Guthrie ein literarisches Denkmal setzt:

So hat er es zertrümmert, ja, er selber
Mein Woody-Guthrie-Götzenbild
Und lehrte mich, dass Leute Gründe haben
Für das, was sie verstecken oder zeigen
Für das, was sie grad tun und lassen,
und was sie sprechen und was sie schweigen.

Mehr Nachdichtung als Übersetzung

Wolf Biermann freilich hat sich Bob Dylans Jugendwerk auf seine eigene Weise angenähert: Seine Übersetzung ist mehr eine Nachdichtung als eine reine Übertragung. Biermann fügt ganze Passagen hinzu, verändert den Sprachrhythmus, schiebt immer wieder sich selbst zwischen die Zeilen:

"Diesen Duktus, diese Haltung, diesen Ton richtig in die eigene Sprache zu transportieren, das ist gar nicht so einfach. Man muss beides sein, sehr bescheiden gegenüber dem Original, aber auch entsprechend angemessen unbescheiden."

Dylans typischer Blues-Ton

So ist Biermanns Übersetzung auch um einiges länger als das englische Original. Rund vier Monate hat er dafür gebraucht - keine lange Zeit, bedenkt man, dass er an der Übertragung eines Sonetts von Shakespeare schon mal zwei Wochen arbeitet. Und doch schwingt auch in der deutschen Fassung des Dylan-Poems etwas von dem für den Musiker Bob Dylan typischen Blues-Ton mit.

Nicht nur die musikalischen Wurzeln des amerikanischen Kult-Sängers sind für Biermann interessant. Er habe während der Arbeit auch Vergleiche angestellt, sagt er, vor dem Hintergrund der Tatsache, dass er selbst zur Zeit der Entstehung des Poems abgeschottet in der DDR lebte: "Ich hatte auch interessante Neidgefühle, weil der kann es sich leisten, dachte ich, das zu tun was ich nie durfte. Wenn man in einer totalitären Gesellschaft lebt, wo die Herrschenden systematisch bei jedem Menschen versuchen, ihn seiner Individualität zu berauben, dann ist der automatische Reflex bei jedem Menschen, seine Identität zu behaupten."

Eine literarische Besonderheit

Eben dadurch, dass sich Wolf Biermann in seiner Übersetzung unmissverständlich selbst mit einbringt, erhält das Dylan-Poem eine weiterreichende Bedeutung, spiegelt nicht nur die Attitüden eines jungen Mannes wider, der sich der Welt entgegenstellt, sondern auch die ganz andere Lebensgeschichte eines deutschen Liedermachers aus der DDR.

Aber nicht nur diese Spiegelung durch Wolf Biermann macht Dylans Werk bei allen seinen Schwächen zu einer literarischen Besonderheit, die Kompromisslosigkeit des Tons, die Schärfe des Ausdrucks, die sich im englischen Original wie auch in der deutschen Übersetzung wiederfindet, unterstreicht einmal mehr die Tatsache, dass Bob Dylan nicht nur eine musikalische Ausnahmeerscheinung ist, sondern sich auch mit Recht unter die bedeutendsten amerikanischen Dichter einreihen kann.

Buch-Tipp
Wolf Biermann, "Eleven Outlined Epitaphs - Elf Entwürfe für meinen Grabspruch", Kiepenheuer & Witsch 2003, ISBN 3462033069.

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