Blutbad an der Highschool

Elephant

Eine Typologie amerikanischer Jugendlicher von heute entwirft US-Regisseur Gus van Sant. Dabei erweist er sich als genauer Beobachter, der aus seinen Bildern keine besserwisserischen Erklärungen ableitet.

Eine Kamera schleicht minutenlang durch die Gänge einer amerikanischen Highschool, folgt einzelnen Schülern auf ihren üblichen Wegen oder verweilt bei alltäglichen Ritualen: Man trifft sich in Klassen, in der Bibliothek, in der Dunkelkammer oder zu Gruppengesprächen mit pädagogischem Wert. Erziehung hin zu einem verantwortungsvollen Mitglied der Gesellschaft.

Zickige Mädchen himmeln Jungs an, unterhalten sich in der Kantine über Gewichtsprobleme und gehen anschließend auf die Toilette zum Kotzen. Ein Bild gibt das nächste, Rückblenden und Vorwärtskommen, Schnitt für Schnitt.

Böse Vorahnung

Das alles wird zusammengehalten von einer bösen Vorahnung. Denn man spürt, dass diese sorgsam inszenierte Langsamkeit einem höheren Zweck dienst, dass die Unschuld dieses Alltags nur die kunstvolle Fassade für ein folgenreiches Massaker sein wird. Auf diesen Amoklauf an der Schule wartet man. Und wartet. Fast einen ganzen Film lang.

Beethoven, Playstation und Waffenkauf

Doch es ist vor allem dieses Warten, das interessiert und das Gus Van Sant dem Zuseher trotz oder gerade wegen der vordergründigen Ereignislosigkeit verkürzt. Denn zuvorderst kommt "Elephant" als eine Art Typologie amerikanischer Jugendlicher von heute daher.

Der blonde John, der sichtlich erwachsener ist, als man von ihm erwarten könnte; die schüchterne Michelle, die ihren Körper beim Turnunterricht aus Scham vor anderen verstecken möchte; der frühreife Elias, der den "Smart Guy" gibt; der hübsche Nate, Fußballstar und Mädchenschwarm.

Brittany, Jordan und Nicole, junge Mädchen, denen man ihr Teenie-Gehabe schon weitem her ansieht. Und dann gibt es auch noch Alex und Eric, zwei Jungs, die sich ihren Alltag zwischen holprigem Beethoven am Klavier, Playstation und Waffenkauf aus dem Internet eingerichtet haben.

Distanz halten

Dass sich Alex und Eric via Fernsehen auch für nationalsozialistisches Gedankengut interessieren, stört ein wenig. Zumindest, dass es Gus van Sant so explizit ausstellt. Denn dabei setzt der Film zu Erklärungen an, die er bis dahin recht konsequent vermieden hat.

Sozio-psychologische Thesen über das Entstehen von Gewalt sollten ohnehin Michael Moores "Bowling for Columbine" vorbehalten bleiben. Allein schon der konsequent durchgehaltene, formale Minimalismus in "Elephant" taugt nicht für Erklärungsmuster. Schon gar nicht für Schockmomente.

Denn selbst wenn Alex und Eric ihre Blutspur durch die Schule ziehen, ändert der Streifen seinen Stil nicht. Die Kamera beobachtet. Von weitem werden die Täter ins Visier genommen. Die Kamera hält Distanz. Die Distanz hält. So funktionieren auch konventionelle Wahrnehmungsreflexe, die zu vereinfachenden Kausalschlüssen verleiten, nicht. Was bleibt, sind Indizien und Verweise, die Fragen aufwerfen und bewusst nicht beantworten.

Vorbild BBC-Film

Als Ausgangspunkt diente Regisseur van Sant ein Dokumentarfilm des britischen Regisseurs Alan Clarke, der schon 1989 mit seinem ebenfalls "Elephant" genannten BBC-Film die Gewaltprobleme von Jugendlichen aufgegriffen hatte. Doch was hat ein Highschool-Amoklauf mit Elefanten zu tun? Clarke benannte seinen Film nach einem Sprichwort, dem zufolge manche Probleme so leicht zu ignorieren sind, wie ein Elefant im Wohnzimmer.

Nach kommerzieller orientierten Filmen wie einem Remake von "Psycho" und "Finding Forrester", ist "Elephant" gemeinsam mit Van Sants letztem Film "Gerry" eine künstlerische Wendung hin zu einem viel spröderen Kino, zu ausdrücklich kinematografischen Rechercheanordnungen über Grundfragen des menschlichen Daseins.

Elephant
USA, 2003
mit: Alex Frost, Eric Deulen, John Robinson, Brittany Mountain
Drehbuch und Regie: Gus van Sant