Lust am Experiment

Abenteuer für 16 Saiten

Seine Klänge kann man am Klavier nicht spielen: Georg Friedrich Haas arbeitet in seinen Streichquartetten mit der fein abgestuften, mikrotonalen Welt der Obertöne. In seinem vierten Quartett verwendet der Komponist zudem erstmals Live-Elektronik.

4. Streichquartett von G. F. Haas (Ausschnitt)

"Streichquartette sind für mich eine Möglichkeit, zu Experimentieren", so Georg Friedrich Haas. In seinen ersten beiden Werken für vier Streicher brach der Komponist in den Kosmos der Mikrotonalität auf. Er arbeitete mit so bezeichneten "Obertonakkorden". In dieser Art von Harmonik weichen einige Intervalle von der Stimmung, wie man sie z. B. am Klavier, findet ab.

Der Vorteil der Obertonharmonik: Man kann Klänge schaffen, die sehr weich wirken. Aber auch das Gegenteil ist möglich. Bei entsprechenden Tonkombinationen erscheint das Klangbild besonders rau. "Was mich fasziniert, ist die Spannung zwischen den verschmelzenden und sich reibenden Klangqualitäten."

Mut zum Risiko

In seinem dritten Streichquartett ging der heute 50-jährige Komponist noch einen Schritt weiter: Hier kommt auch Improvisation zu Einsatz. Die MusikerInnen sitzen völlig im Dunkeln und sind von einander räumlich entfernt. Die einzige Möglichkeit miteinander in Kontakt zu treten, besteht darin, musikalische Floskeln zu spielen. Die MitspielerInnen können, aber müssen darauf nicht reagieren. Es geht also um Kommunikation und all ihre Risiken.

Spiel mit der Vergangenheit

Auch im neuesten Streichquartett von Georg Friedrich Haas spielt die Kommunikation eine wichtige Rolle. In diesem Werk gilt es nun für die InstrumentalistInnen einen Dialog mit der eigenen Vergangenheit herzustellen. Während die MusikerInnen spielen, werden bestimmte Passagen aufgenommen und zu einem späteren Zeitpunkt wiedergegeben.

Die Wiedergabe erfolgt entweder unverändert, oder in einem anderen Tempo. Wird die Aufnahme rascher abgespielt, klingt sie automatisch höher. Bei einer langsameren Geschwindigkeit ist sie tiefer.

Suche nach Identität

Die MusikerInnen stehen vor der Aufgabe, auf ihr eigenes Spiel zu reagieren. Irritation ergibt sich vor allem dann, wenn sie mit den Aufnahmen im veränderten Tempo konfrontiert werden. Denn die Quartettmitglieder sollen sich an die Intonation und Rhythmik der Aufnahme anpassen.

Doch der Moment, wo Live-Spiel und die Aufnahme ident sind, ist sehr kurz. Sehr bald weicht die Zuspielung wieder ab. Es geht somit um ein ständiges Suchen und Entgleiten von zwei Schichten, die letztlich nicht zusammen kommen können.

Zweite Chance

Im seinem vierten Streichquartett arbeitet Georg Friedrich Haas zum ersten Mal mit Live-Elektronik. Seit nahezu 30 Jahren hat der Komponist auf den Einsatz von elektronischen Mitteln in seinen Werken verzichtet. 1976 hatte er ein Tonbandstück komponiert. Die dabei gemachten Erfahrungen veranlassten den Komponisten daraufhin, die Elektronik zu meiden.

Erst Gespräche mit seinen KompositionsstudentInnen an der Grazer Musikuniversität veranlassten ihn, der Elektronik eine zweite Chance zu geben. "Ich merke, wie selbstverständlich der Umgang mit der Elektronik für die jüngeren Menschen geworden ist, so dass meine Vorurteile dahingeschmolzen sind."

Am 16. November 2003 kam beim diesjährigen "musikprotokoll" Haas' viertes Streichquartett zur Uraufführung. In "Zeit-Ton" wird ein Mitschnitt der Uraufführungen der neuen Streichquartette von Georg Friedrich Haas und Peter Lackner beim "musikprotokoll 2003" präsentiert. Es spielt das "Streichquartett des Klangforum Wien".