Rasender Stillstand

Nicht auflegen!

Was tun, wenn man einen Anruf in einer öffentlichen Telefonzelle entgegennimmt und damit direkt ins Visier eines Killers gerät? Für den New Yorker Stu Shepard beginnen damit bange Minuten. "Nicht auflegen!" ist nicht nur ein guter Ratschlag, sondern auch der Titel eines Thrillers von Joel Schumacher.

Arrogant und cool, ein Snob, vermeintlicher Tausendsassa, Ausbeuter und untreu sowieso. Als Sympathieträger geht der New Yorker Künstleragenten Stu Shepard keinesfalls durch. Dafür sorgen schon die ersten paar Filmminuten im Thriller "Nicht auflegen!".

Wer soviel Dreck am Stecken hat, dem wünscht man zumindest einmal, gehörig auf die Nase zu fallen. Doch, das Folgende will man selbst seinem schlimmsten Feind nicht wünschen.

Der folgenschwere Anruf in einer New Yorker Telefonzelle kommt unvermutet. Stu hebt zufällig ab, und schon ist er im Visier seines potentiellen Mörders. Irgendwo hinter den Spiegelfassaden Manhattans lauert ein Killer mit einem Präzisionsgewehr. Ein sadistisches Spiel beginnt, das sich immer mehr zu einer öffentlichen Demütigung entwickelt.

Machtdemonstrationen

Ein Eingreifen der Polizei ist nicht möglich, denn sie hält Stu für einen gefährlichen Mörder. Immerhin wollte ein Zuhälter die Telefonzelle gewaltsam betreten. Sekunden später liegt er tot auf der Strasse. Der Serienkiller beweist seine Macht. Eine Macht, die zusehends die Züge eines sadistischen und moralischen Rachefeldzugs gegen den allgemeinen Verfall der Sitten annimmt. Immer mehr wird die Straße zum Beichtstuhl, in dem Stu - auf Anordnung des Killers - aus der Telefonzelle heraus seine Sünden nach und nach bekennt. Ehebruch, den miesen Charakter hinter den feinen Klamotten, seine ganze aufgeblasene Existenz: "Alles an mir ist nur Schein!"

Psychologisches Outdoor-Kammerspiel

Regisseur Joel Schumacher und sein Drehbuchautor haben ihren Thriller als psychologisches Kammerspiel in den Strassen New Yorks angelegt und einige Genreregeln gegen den Strich gebürstet. Während der gegenwärtige Action-Film die Beziehung von Verfolger und Verfolgtem stets durch Bewegung definiert - wobei es immer rasanter zugeht - ist die Ausgangsituation hier von (kostensparendem) Stillstand geprägt. Nur nicht vom Fleck rühren und nur nicht auflegen. Mobilität kommt nicht durch Fortbewegung in Zeit und Raum zustande, sondern durch den psychologischen Wettlauf in den Köpfen aller Beteiligten. So sind die beengten Raumverhältnisse des auf wenige Quadratmeter reduzierten Schauplatzes eine perfekte Entsprechung für die klaustrophobischen Gefühle, die die Dramatisierung der Ereignisse mehr und mehr evoziert.

Ekel vor künstlichen Kinowelten

"Nicht auflegen!" spekuliert nicht zuletzt mit den verwundbaren Stellen der amerikanischen Gesellschaft. Das böse Spiel mit der kollektiven Paranoia haben letztes Jahr nicht nur Heckenschützen und Serienmörder in Florida angeheizt, sondern bestimmt seit dem 11. September auch den übergeordneten politischen Diskurs. Der Terror, der sich immer mehr in den Alltag einschreibt, kann immer und überall stattfinden. Jeder kann das Opfer sein. Für die entsprechende Identifikation im Kino ist also reichlich in der Wirklichkeit gesorgt.

Nicht auflegen!
(Phone booth)
USA, 2002
mit: Colin Farrell, Kiefer Sutherland, Forest Whitaker, Katie Holmes
Drehbuch: Larry Cohen
Regie: Joel Schumacher