Brücken zwischen Kulturen

Barbara Frischmuth

Barbara Frischmuth hat sich in ihren Werken immer bemüht, Brücken zwischen den Kulturen zu schlagen, als "Übersetzerin" und "Überläuferin" zwischen Sprachen und Gesellschaften zu fungieren.

Der Al-Kaida-Terror, der Krieg gegen den Irak Saddam Husseins und die Debatte um den Stellenwert des Islam hat das Misstrauen zwischen den Kulturen, zwischen arabischer bzw. moslemischer Welt und den westlichen Industriestaaten vergrößert und neue Feindbilder entstehen lassen. Die österreichische Schriftstellerin Barbara Frischmuth, die Türkisch und Ungarisch, dann Orientalistik studierte, hat sich immer wieder für Toleranz und gegen die Diffamierung des Islam ausgesprochen. "Für sehr gefährlich halte ich, wenn westliche Politiker von einem 'Angriff auf die Zivilisation' sprechen. Damit wird den anderen die Zivilisation abgesprochen. Gerade der Islam war aber immer sehr zivilisiert, und wir haben viel von ihm übernommen."

Schon in ihrer Festrede zur Eröffnung der Salzburger Festspiele im Jahr 1999 hat die Autorin zu Verständnis zwischen Religionen, Kulturen und Literaturen aufgerufen. Frischmuth betonte damals besonders die Vermittlerrolle der Schriftsteller, die als "Übersetzer" und "Überläufer" zwischen Sprachen und Gesellschaften, Gefühlsebenen und Geisteszuständen, abstrakten Ideen und konkreten Erfahrungen fungierten. In ihren eigenen Büchern, etwa im Roman "Die Entschlüsselung", hat sich Frischmuth immer bemüht, Brücken zwischen den Kulturen zu schlagen - etwas, was sie übrigens bei vielen ihrer Kollegen und Kolleginnen vermisst: "Gerade die Intellektuellen haben sehr viel versäumt. Es gibt kaum Autoren, die den 'anderen Blick' gesucht haben."

Die Mythenerzählerin

Barbara Frischmuth zählt neben Elfriede Jelinek, Thomas Bernhard oder Peter Handke zu den wichtigsten Persönlichkeiten der österreichischen Literaturszene in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der Autorin, die sprachexperimentell zu schreiben begonnen hat, ist es gelungen, Tradition und Innovation in ihren Werken zu verbinden. Dabei ist sie so etwas wie eine "Mythenerzählerin": Sie greift alte weibliche Mythen auf, um sie in realistischer, gegenwartsnaher Form neu zu erzählen. Sprach- und Herrschaftskritik spielen bereits in ihren frühen Werken eine Rolle. Vor allem in ihren Romanen und Erzählungen verkörpert sie die Möglichkeiten des weiblichen Schreibens, schildert die Probleme weiblicher Identitätsfindung inmitten sich wandelnder gesellschaftlicher Verhältnisse.

Frischmuth, die sich schon in ihrer Jugend entschieden hat, Schriftstellerin zu werden, interessiert sich bald für fremde Kulturen, vor allem für den Orient. Ihr Türkisch- und später ihr Ungarisch-Studium führten sie mehrmals ins Ausland. In einigen ihrer Romane werden diese Eindrücke und Erfahrungen verarbeitet - etwa in "Das Verschwinden des Schattens in der Sonne" oder in "Die Schrift des Freundes". Die Schriftstellerin, die auch türkische und ungarische Literatur ins Deutsche übersetzt hat, engagiert sich seit langem intensiv für den interkulturellen Dialog.

Vermittlerin zwischen den Kulturen

Toleranz in Glaubensfragen zu üben und andere Kulturen und Ideologien zu verstehen - dafür wirbt Barbara Frischmuth seit Jahren in ihren Essays, in Reden und in vielen ihrer Romane. Sie ist davon überzeugt, dass vor allem Schriftstellern und Übersetzern eine Vermittlerrolle zukommt, die - so Frischmuth wörtlich - "als Grenzgänger von Natur aus zum Randgehen und zum Übersteigen der verschiedensten Mauern und Grenzzäune neigen". Ohne diese "gegenseitige kulturelle Wahrnehmung" sei auf Dauer ein Zusammenleben nicht möglich. Schriftsteller anderer Kulturkreise seien wahrscheinlich die geeignetsten Verbündeten beim Versuch einer Annäherung an das - Zitat: "Unheimliche vor der eigenen Tür" - wie Frischmuth einmal die Ängste rund um die Ausländerproblematik bezeichnet hat.

Die in Altaussee geborene Autorin - ihr Vater war in Russland gefallen - übersiedelt im Jahr 1958 mit der Mutter nach Graz. Zwei Jahre später ist sie die einzige Frau unter den Gründungsmitgliedern des "Forum Stadtpark". Heute lebt Frischmuth, die Gärtnerin aus Passion, als freie Schriftstellerin und Übersetzerin wieder in Altaussee.

Um mit ihr über die Vermittlerfunktion von Literatur, über ein Europa unterschiedlicher Kulturen und Religionen - auch unter Einbeziehung der Türkei - und die Rolle der europäischen Intellektuellen zu sprechen, hat Michael Kerbler die Schriftstellerin Barbara Frischmuth eingeladen, zu Gast in der Sendereihe "Im Gespräch" zu sein.


Buchtipps

Barbara Frischmuth: "Fingerkraut und Feenhandschuh" - Ein literarisches Gartentagebuch, erschienen im Aufbau-Verlag, Berlin

Michael Pollan: "Die Botanik der Begierde" - Vier Pflanzen betrachten die Welt. Erschienen im Claassen Verlag, München

Barbara Frischmuth: "Die Entschlüsselung" - Der Roman, erschienen im Aufbau-Verlag, Berlin, ist jetzt auch als Taschenbuch erhältlich

"Barbara Frischmuth - Fremdgänge" - Ein Streifzug durch einen literarischen Kosmos - Porträt der österreichischen Schriftstellerin anlässlich ihres 60. Geburtstages, herausgegeben von Daniela Bartens und Ingrid Spörk, Residenz Verlag , ISBN 3-7017-1255-7, WG 1160

CD-Tipp

Soeben ist die sechste Edition der Sendereihe "Im Gespräch" erschienen. Marianne Koch, Anton Zeilinger, Marion Gräfin Dönhoff, Dietrich Schwanitz, Elisabeth Mann Borgese und Carlo Feltrinelli sind die prominenten Gäste der Edition. Die neue CD-Kollektion ist zum Preis von EUR 36,20 im OE1 Shop erhältlich. Ö1 Clubmitglieder erhalten eine Ermäßigung von 10 Prozent.

Link
Barbara Frischmuth - Linksammlung mit Kurzbiografie und Werken