Malerin mit Tönen, Worten, Farben

Zur Person: Joni Mitchell

Sie gilt als wichtigste und einflussreichste Künstlerin im Musikgeschäft des späten 20. Jahrhunderts, als Wegbereiterin für Musikerinnen nachfolgender Generationen von Patti Smith bis Madonna. Am 7. November wird Joni Mitchell 70 Jahre alt.

Ein romantisches kleines Steinhaus, direkt am Meer, beinahe schon im Meer, bei Flut wird die kleine Klippe, auf dem das Häuschen samt Terrasse steht, von den Pazifikwogen umspült. Auf einer vorgelagerten Insel sitzen ein paar Seelöwen, weit und breit keine Menschenseele, viel Wald, ein paar Rehe. Diese Oase findet sich noch dazu an einem Fleckchen Erde, dessen Name schon viel versprechend klingt: Sunshine Coast. Von Vancouver aus mit dem Bus der Malaspina Coast Line und einer Fähre in knapp drei Stunden zu erreichen.

Die lange Reise von Wien an die kanadische Pazifikküste absolvierte ich im August, allerdings nicht um Lachse zu fischen oder Surfbretter und Kajaks zu versenken, sondern um eine Musikerin zu interviewen. Jene Dame, die ihre Sommer in diesem paradiesischen Ambiente zu verbringen pflegt. Eine Musikerin, bei der so mancher - von Wayne Shorter bis Prince - ins Schwärmen gerät: die 1943 geborene Singer/Songwriterin Joni Mitchell.

Perfektes Ambiente zum Komponieren

In diesem untertrieben formuliert höchst angenehmen Ambiente sind viele ihrer Songs entstanden, das Album "For the Roses" war 1972 das erste, das die Mitchell an diesem Ort komponiert hat. Hier genießt die Künstlerin seit drei Jahrzehnten ihre Ferien und seit einiger Zeit auch einen pensionsähnlichen Zustand.

Songs schreibe sie derzeit keine, erzählt sie kettenrauchend, Hund Coco auf dem Schoß, sie wolle eigentlich im Moment vor allem ihre Familie genießen. Das hat sich Joni Mitchell auch verdient. Nach 20 Alben und unzähligen Songs und einer 35 Jahre dauernden Karriere.

Spätes Familienleben

Immerhin feiert die Singer/Songwriterin Anfang November ihren 70. Geburtstag, auch wenn sie mit ihren blonden, langen Haaren, den markanten Wangenknochen und dem sympathischen Lächeln um mindestens zehn Jahre jünger wirkt.

Und die Sache mit dem Genießen des Familienlebens ist in ihrem Falle jedenfalls mehr als nur eine leere Phrase, denn dass sie damals in den 60er Jahren als junge Frau ihre neugeborene Tochter zur Adoption freigab, dass niemand davon wusste, und dass erst 1996 ein glückliches Wiedersehen mit Tochter inklusive Enkel stattfand, diese "Sensationsstory" ging in den 1990er Jahren durch alle Medien.

Mit Worten malen

Joni Mitchell zählt zu den interessantesten musikalischen Figuren im Popbusiness. Keine beherrscht die Kunst des perfekten Zusammenspiels von Wort und Ton auf eine so eigenartig persönliche und poetisch eindringliche Weise wie die Kanadierin.

Eigentlich wollte die Komponistin, die sich unzählige Songs auf den Leib geschrieben hat, Malerin werden. Eine simple Bemerkung ihres Deutschlehrers sollte ihr auch ihre anderen Talente bewusst machen. "Wenn du mit einem Pinsel malen kannst, dann kannst du es auch mit Worten", sagte dieser Mr. Kratzman damals zum Teenager. Dem weisen Manne widmete die junge Musikerin später ihr Debütalbum "Song to a Seagull", 1968, das von David Crosby produziert wurde. Ihr zweites Album "Clouds" kam 1969 schon unter die Top 40. 1970 dann der erste Single-Hit "Big Yellow Taxi".

Selbstporträts am Cover

Immer noch malt die Künstlerin, die mit neun an Polio erkrankte und ihr späteres Kunststudium für eine Karriere als Folksängerin an den Nagel hängte. Mit Tönen, mit Worten, aber auch mit Pinsel und Farbe. Einige ihrer Bilder zieren ihre LP- und CD-Covers, Alben, die Generationen von Musikern beeinflussten, von Patti Smith bis Madonna, von Alanis Morissette bis Björk.

Magische drei Minuten

Die Songpoetin ging wie kaum eine andere kompromisslos ihren künstlerischen Weg und wurde so zur Wegbereiterin für Musikerinnen nachfolgender Generationen. Die Folksängerin und Queen der Hippiegeneration, die Gitarristin, der Popstar, die Lyrikerin, die Komponistin, die mit open tunings experimentiert, die Jazzsängerin - und über alle dem die magischen drei Minuten, in denen sie in ihren Songs komplexe Geschichten erzählt und wunderschöne Bilder malt. Songs, geschrieben für ihre einst glockenhelle, heute tief verrauchte Stimme, Songs, die Generationen von Hörern das schöne Gefühl gaben, nicht allein zu sein.

"She's a songwriter and singer of genius who can't help but make us feel we are not alone." ("New York Times").