Vor allem die Marsianerinnen!
Tarzan, Jane und die Marsianerinnen
Reisen bildet, wird immer gesagt. Unternehmen wir also einen Ausflug in die fantastischen Welten des Edgar Rice Borroughs. Vom Dschungel bis zum Mars. Da bekam man seinerzeit einiges zu sehen, was man als Zwölfjähriger sonst nie zu sehen kriegte.
8. April 2017, 21:58
Dieser Tage ging leise eine Nachricht durch die Blätter: Gordon Scott ist 80-jährig verstorben. Wer war noch mal Gordon Scott?, werden sich jetzt manche fragen. Gordon Scott war Tarzan 3.
Scott löste als urschreiender Dschungelheld irgendwann Lex Barker ab, der seinerseits Johnny Weissmüller abgelöst hatte. Fraglos sind seine beiden Vorgänger berühmter als Scott, zu Recht. Aber Scott war der erste Tarzan in Farbe. Und mithin der einzige, den man zu sehen bekam, wiewohl auch schon alt, als ich so etwa zwölf war.
Stamm-Leser dieser Seiten wissen ja, dass ich ein, zwei Jahre zuvor noch Winnetou und Old Surehand als Lektüre bevorzugt hatte. Weniger Old Shatterhand. Dessen allzu heroisches Faustkämpfertum war mir suspekt. Aber Old Surehand - das war der Mann, der mit der Flinte aus jeder Entfernung jedes Ziel traf. Ich fand schon damals, so scheint mir, Fernwirkungen spannend.
Vermutlich bin ich deshalb Journalist geworden: Heute schreibe ich in irgendeiner Kammer irgendein Zeug, und 20.000 oder 100.000, die ich noch nie gesehen habe und nie sehen werde, lesen es. Faszinierend!
Aber eigentlich wollte ich wo anders hin: An Tarzan, auch in Technicolor samt jenen sehr bunten, um nicht zu sagen: abstrusen Farben, war Tarzan selbst ja das Uninteressanteste. Noch so ein Faustkämpfer, in der Version des britischen Adeligen gerade so ärgerlich wie in der des deutschen Hauslehrers. Doch an Tarzans Seite gab es Jane: Jane, das spärlich bekleidete Dschungelmädchen.
Ich bitte jetzt zu bedenken: Ich war ungefähr zwölf, vielleicht auch 13, und es gab damals keine Palmers-Plakate. Es gab auch kein "Baywatch" im Fernsehen, dergleichen war vollkommen undenkbar. Das hätte den Sturz der Regierung ausgelöst. Damals gab es Heinz Conrads und Hans Joachim Kulenkampff. In dieser Gesellschaft wirkte Jane in ihrem Hüftschurz - was soll ich sagen - sensationell, grandios, wie von einem anderen Stern.
Ich war indes schon damals ein Grübler, und hatte offenbar die Tendenz, den Dingen auf den Grund zu gehen. Außerdem schickte ich mich gerade an, ein Leser zu werden. Und so kam ich, ich kann nicht mehr sagen, wie, von Jane auf den ursprünglichen Autor der Tarzan-Geschichten: auf Edgar Rice Borroughs.
Edgar Rice Borroughs schrieb nicht nur zirka 25 Tarzan-Geschichten, berühmt ist auch seine Mars-Serie, vielleicht auch 25 Folgen. Ich hab' sie nicht gezählt. Die Bücher spielen alle auf dem Planeten Mars, den die Marsianer selbst "Barsoom" nennen. Hauptheld ist ein gewisser John Carter, ein Erdling, der auf nicht weiter geklärte Weise auf den Mars versetzt wird. Ich glaube mich zu erinnern, im Schlaf. Dort erlebt er allerhand, vornehmlich Romantisches und Kriegerisches.
Darüber, wie Borroughs um 1910 herum als 35-Jähriger zum Schriftstellertum kam, gibt's einen berühmten Ausspruch, den man im englischen Original zitieren muss - weil im Deutschen kein adäquates Substantiv zum Wort "verrottet" existiert: "If people were paid for writing rot such as I read in those magazines, I knew I could write stories just as rotten."
Die genannten Jahreszahlen, die Biografie Edgar Rice Borroughs', brachte ich natürlich nicht mit zwölf oder 13 in Erfahrung, sondern viel später. Ich hatte damals auch keine Ahnung, was jene "Pulp Magazines" sein könnten, die Borroughs mit seinem "rot" füllte; kannte nicht einmal den Ausdruck.
Borroughs jedenfalls ist ein Meister des Verrotteten. So, wie er den ganzen Dschungel-Nonsens wohl nur erfand, um letztlich eine Jane hinein platzieren zu können, so ist das Entscheidende an seinen Mars-Geschichten: Sämtliche Marsianer sind ausnahmslos und zu jeder Tages- und Nachtzeit nackt. Nicht knapp bekleidet wie Jane, sondern gar nicht. Sie wundern sich sogar darüber, wozu sich die Erdlinge dauernd etwas anziehen.
Anfangs irritiert das den genannten John Carter ein wenig, naturgemäß, aber er findet sich drein. Und da sich unter den Marsianern jede Menge wunderschöner Marsianerinnen finden, findet Borroughs wiederum viel Gelegenheit zu grandios schwelgerischen Beschreibungen.
Es ist wirklich verrottet. Pulp eben. Aber auch irgendwo genial. Ich habe das Ganze in englischen Penguin-Taschenbüchern gelesen, das ging nicht anders. Deutsche Übersetzungen existierten damals nicht, die kamen erst später, als Borroughs auch von deutschen Verlagen wieder entdeckt wurde.
Das hatte einen weiteren riesigen Vorteil: Ich konnte meiner erwachsenen Umwelt erklären, ich müsse durch die Lektüre mein Englisch verbessern. Das funktionierte hervorragend. Was drin stand, interessierte keinen mehr. Die hätten sich gewundert!
Übrigens war das nicht einmal gelogen: Dank Borroughs' Massen unbekleideter Marsianerinnen lernte ich definitiv mehr Englisch, als durch die Bemühungen meiner Lehrer, die mir diese öden Schweine aus "Animal Farm" unterjubeln wollten.
Nun gut. Das alles fällt mir wieder ein, wenn ich höre, dass Gordon Scott gestorben ist, jener Hollywood-Mime aus der dritten Reihe links hinten. Mir wird er jedenfalls in Erinnerung bleiben.