Spiel mit Technik, Träumen und Geld
Der geklonte Mensch
Bewegt sich Wissenschaft noch innerhalb der "Grenzen der Ethik", wenn Menschen künstlich erzeugt und wunschgemäß programmiert werden? Wenn Natur nach Belieben kontrolliert und manipuliert wird? Das fragt Alexander Kissler in seinem aktuellen Buch.
8. April 2017, 21:58
"Der Abschied vom Menschen, wie wir ihn kannten, hat sich großteils schon vollzogen", schreibt Alexander Kissler, Kulturjournalist und Feuilleton-Redakteur der Süddeutschen Zeitung, schon zu Beginn seines Buches, dem es nicht nur um die Gentechnik und deren mögliche Folgen geht, sondern auch um das Menschenbild, das hinter der Vision der Menschen- und Lebensoptimierung steht.
Machbarkeit wichtiger als Moral
Der Diskurs über das wissenschaftlich Machbare hat den über das moralisch Verantwortbare in den Hintergrund gedrängt. Kissler moniert, dass Moral oft als monotheistisches Relikt inkriminiert wird, dass man lieber auf den Begriff der Ethik rekurriert, dass diese Ethik aber zur Sache von Mehrheitsentscheidungen verkommt, verhandelbar je nach wirtschaftlicher und politischer Gemengelange; und dass die Wissenschaftler selbst die Wortführer in der Ethikdiskussion abgeben, sich jede Einmischung verbeten und dem Credo frönen: Was machbar ist, ist auch erlaubt.
Nicht unbeteiligt an der Schieflage zwischen Wissenschaft und Ethik bzw. Moral ist für Kissler die Politik. Sie adelt bestimmte Forschungsgebiete - nicht zuletzt den Gen- und Biotechnik-Bereich - zu nationalen Prestigeprojekten und kennt mehr Sorge um den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort als Bedenken gegenüber den Folgen wissenschaftlich-technischer Neuerrungenschaften.
Der Mensch als Überlebensmaschine
"Der geklonte Mensch" ist eine scharfzüngige Attacke gegen die Vertreter der so genannten "Lebenswissenschaften", ihre vollmundigen Verheißungen und ihr mechanistisches Weltbild. Kissler geißelt ihre Einseitigkeit, ihre Arroganz und Kurzsichtigkeit. Seine Lieblingsfeinde sind der Biologe Richard Dawkins, der den Menschen zur "Überlebensmaschine" reduzierte, zum blind programmierten Roboter, der "Dolly"-Schöpfer Ian Wilmut, der englische Bioethiker John Harris und sein australischer Kollege Peter Singer: Advokaten der Embryonenforschung, die für Lebensoptimierung und "Transhumanismus" stehen, ohne nach den moralischen Kosten zu fragen.
"Wichtig ist mir noch, dass es mir auch darum geht, dass unbeschadet der Frage, ob wir dereinst einen geklonten Menschen haben werden, in unserem geistigen Horizont die Denkweise, die zu einem solchen Menschen führen könnte, längst schon den Sieg davon getragen hat", meint Kissler. "Ich weiß noch die Aufregung, als Dolly da war, das geklonte Schaf. Heute vergeht kaum eine Woche, ohne dass ein Tier geklont wird - gerade wieder drei Hunde in Südkorea. Das Entsetzen hält sich sehr in Grenzen. Und so wird es auch sein, wenn der erste geklonte Mensch da ist. Es wird uns dann vermutlich nur ein leichtes Achselzucken entlocken."
Rückkehr zum Naturrecht?
Entfesseltes Machbarkeitsdenken statt Respekt vor der Schöpfung: Das führt, laut Kissler, zum "Abschied vom Menschen in seiner bisherigen Form", zur "Neubestimmung des Menschlichen" durch die Protagonisten der Lebenswissenschaften. Kissler will das nicht mitmachen. Für ihn ist diese Neubestimmung ein Verlust: ein Verlust an Menschenwürde, aber auch an Autonomie.
Drastisch führt Kissler das aktuelle Wertevakuum vor Augen - in einem Essay, der mit spitzer Feder geschrieben ist, flott lesbar und mit anschaulichen Zitaten und Verweisen unterfüttert. Was Kissler freilich dagegen zu setzen hat gegen die Moraldiskriminierer und Verantwortungsagnostiker aus dem Lager der Bioethik, bleibt nebulös: die Rückkehr zum Naturrecht.
Mit dem amerikanischen Politologen Francis Fukuyama ist er der Meinung, man müsse sich wieder darauf besinnen, "Rechte und Ethik aus der Natur zu begründen". Die Natur nämlich und nur diese sei die "Basis für unsere Auffassung von Gerechtigkeit, Sittlichkeit und gutem Leben": ein ziemlich vages Bekenntnis.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
Alexander Kissler, "Der geklonte Mensch. Das Spiel mit Technik, Träumen und Geld", Herder Verlag, ISBN 978-3451292613