Erinnerungen an die Hörspieltage, Teil 2

Brüste wie Manifeste

Die Hörspieltage des Jahres 2007 waren schön, man konnte zwar Bru Willi wirklich nicht im Fernsehen anschauen, aber eine Woche danach ist auch diese Wunde nahezu verheilt. Langsames Autofahren hilft dabei. Lesen Sie heute: Das Warten auf die Häutung.

Ist das ein passender Zeitpunkt, um mit der Kolumne zu beginnen? Es ist vier Uhr neununddreißig, rechts beim Fenster draußen wird es hell, glaube ich. Der Tag wird immer ewiger, ich muss aufs Klo.

Ich war auf Klo. Manche Menschen, die nicht Deutsch als Muttersprache haben, sagen das so, manche Deutschen auch. Ich war auf Klo und sah einen Silberfisch, der Silberfisch sah mich, dann suchte er eine Ritze, fand aber keine. In meiner ersten eigenen Wohnung hatte ich am Klo ebenfalls Silberfische, das Klo bestand aus Ritzen. Vier Uhr fünfzig. Der Himmel ist bereits so blau wie eine Strampelhose. Der Computer macht "Bugg" und "Plüng".

So gerne würde ich auf die Sonne warten, ich schreibe: "Sie streift die Erde als Haut ab. Würde die Erde sich nicht drehen und uns schwindelig machen, wäre die Sonne ein geiler Bissen für einen betrunkenen Allriesen." Ich bin dreißig und müde und ebenfalls ein bisschen begattungsreif, ein Wort, das der Computer statt "geil" schreiben würde, ließe ich das zu. Er und die schwindelige, silberne Erde, die ja doch nur den ganzen Dreck aus dem All spiegelt, lassen es nicht zu, dass da nebenan im Bett schon jemand liegt, der heute nicht mehr Amok laufen wird. Was hat Sex mit Amok zu tun? Das könnte die grundlegende Frage in einem Hörspiel sein, darin kämen siebenhundert Schauspieler und Schauspielerinnen in dreihunderteinundfünfzig Rollen vor, der mit drei Rollen wäre eine von einem Mann gespielte Frau und ein von einer Frau gespielter Mann zugleich sowie das geschlechtlose Kind der vier. Fünf Uhr sechs. Der Strampler nach dem tausendsten Waschgang. Ich muss ins Bett.

Ich war im Bett. Dann Futter und Wasser für die Schafe und für mich, dann nach Wien. Wien kotzt mich an, ich verlasse Wien mit Wiens Mageninhalt übergossen und mit dem Bild zweier junger Dinger, die im Auto sitzen, die eine fährt und hupt mich an, die andere kreischt "Hey, du geile Sau!" und schüttelt, um ihrer Aussage etwas Einladendes zu verleihen, ihre beträchtlichen Brüste in ihrem ärmellosen Shirt. Brüste wie Manifeste. Hin und her. Mit ihren Schultern gibt sie ihnen Schwung, welcher sie nachtanzen lässt. Mir wird ein wenig übel. Aber gegen die DNA kann kein noch so hässliches Trauma etwas ausrichten, also finde ich punktuell ganz gut, was da drüben läuft. Ich lächle die Tussi an. Wie ich es gelernt habe, werde ich jetzt eine saftige Panikattacke abwenden. Puh, das war knapp. Und notwendig - schließlich kann man nach Watzlawick ja nicht nicht-hinschauen: Die Huperin sitzt im Dunkel des Wagens; ein millionenfach geübter Blick zeigt, dass auch sie mit einem guten Rahmen versehen ist, wenn wir das hier mal so sagen dürfen. Wir stehen übrigens im Stau. Mein Staustreifen ist um die Moorschnecken schneller, so entkomme ich den beiden Herrenreiterinnen. Ich erkunde im Geist das Bild, das sie von mir haben möchten, sie konnten gerade einmal meinen spitzen Schnabel in meinem spitzen Gesicht sowie den Rest bis auf jene Höhe, wo sie und ich meine Brustwarzen vermuten konnten, außerdem meinen linken Arm sehen, welcher nicht mal eine der vier Riesenbrüste zu bewegen kräftig genug wäre (nur für den Fall, dass die Tussi jemanden sucht, der ihre Brüste bewegt).

Auf dem Heimweg, mit 120 auf der Autobahn, freiwillig, ersinne ich eine wunderschöne Sendung über Illusionen. Die Hörspieltage sind nun für dieses Jahr Vergangenheit, im nächsten werde ich wieder hinfahren. Darauf freue ich mich schon jetzt.