Wie wirklich ist die Wissenchaft?
Die dunkle Seite der Macht
Der Mensch ist ein Literaturmensch. Das war zu Gilgameschs Zeiten so, und auch wenn wir heute nicht mehr an Blitze schleudernde Götter glauben, hat sich am Grundsätzlichen nichts geändert: Wir finden uns und die Welt einzig in der literarischen Erzählung wieder.
8. April 2017, 21:58
Früher gab es Sagen und Märchen. Darin böse Hexen und Zauberer, Magier mit allerlei dunklen Kräften, Gnome und Kobolde, die aus den Finsternissen des Erdinneren stammten, und manchmal sogar den schwarzen Teufel persönlich.
Später versuchten die Psychoanalytiker uns zu erklären, dass es sich dabei um Manifestationen des Unterbewussten handle, um Literatur gewordene Abspaltungen unter- oder vorbewusster Persönlichkeitsteile, um seelische Kräfte, die dem Menschen inne wohnen, und die in der märchenhaften Erzählung Gestalt annehmen.
Wie plausibel das ist? Nun, man muss ja konstatieren: Die Psychoanalyse hat selbst die Merkmale ihres Untersuchungsgegenstandes stark angenommen. Sie neigt selbst ins Märchenhaft-Dunkle. Allein die schiere Zahl unterschiedlicher Schulen der Psychoanalyse mit je völlig divergenten Grundvorstellungen vom Wesen des Seelenlebens zeigt wohl, dass die Analytiker mit so etwas wie gesicherter Erkenntnis kaum aufwarten können.
Andere meinten und meinen, dass die dunklen Mächte und düsteren Gestalten der Märchen und Mythen der Ratlosigkeit des Menschen angesichts der Rätselhaftigkeit der Welt entstammen: Wenn man sich nicht erklären kann, warum Steine immer herunter fallen und niemals hinauf, warum jeden Tag wieder die Sonne am Himmel erscheint und ihre Bahn über das Firmament zieht, wenn man keinen Schimmer hat, wie und warum im Gewitter Blitze entstehen, dann käme man demnach schnell auf die Idee, hier müssten seltsame Machenschaften vorliegen. Und wie die menschliche Phantasie eben funktioniert - diese Mächte sind schnell benannt und in Gestalten gekleidet.
Doch dann kam die Wissenschaft, nämlich jene, die ihr Begründer Galileo Galilei selbst die Nova Scientia nannte, die im Englischen "Science" heißt und im Deutschen etwas sperrig "Naturwissenschaft". Offenbar verwehrten sich in deutschen Landen die Geistes- und sonstigen Wissenschafter erfolgreich dagegen, dass sie nun zu Nicht-Scientisten, oder in Galileis Wortwahl, zu Experten einer alten, somit tendenziell überholten Wissenschaft abgestempelt werden. Der große Italiener gab seiner Nova Scientia jedenfalls auch Methode und Rezept vor: "Messen, was messbar ist, messbar machen, was noch nicht messbar ist."
Damit leistete der Florentiner in der Tat Innovatives. Zwar wird durch seine Nova Scientia die Welt nicht in ihrem Wesen erklärt, das wäre wiederum ein Missverständnis. "Was die Welt im Innersten zusammen hält", wie Goethe den Doktor Faust grüblerisch fragen lässt, das kann auch Galilei nicht beantworten. Aber immerhin wird durch ihn die Welt berechenbar.
Das ist nicht nichts. Wir müssen uns keine Sorgen mehr machen, wie weiland die alten Azteken, dass die Sonne am nächsten Tag nicht mehr aufgehen und wir in ewiger Nacht zurück bleiben könnten - weil wir uns ausrechnen können, dass sie unvermeidlich doch wieder aufgehen und uns den Tag erleuchten muss. Nach den Gesetzen von Galileis Wissenschaft bleibt ihr nichts anderes übrig.
Wie können auch ausrechnen, wie und warum bei Gelegenheit Blitze durch die Luft schwirren, nämlich aufgrund zwangsläufig entstehender elektrischer Potentiale, die sich ebenso zwangsläufig entladen. Und dass das definitiv nichts mit einer vollbärtigen olympischen Figur und ihrem furchtbaren Zorn zu tun hat, wie unsere Altvorderen fürchteten.
Man sollte glauben, dass damit die Ära der Mythen und Märchen, der literarisch fantasierten dunklen Mächte zu einem Ende gekommen und lichtvoller Erkenntnis gewichen sei.
Doch was muss man hören und lesen? - Dem ist nicht so! Hört man heute Physikern und Astronomen zu, erkennt man bald, dass die sagenhafte Zeit des Nibelungenliedes keineswegs vorbei zu sein scheint. Da wimmelt es nur so von "Schwarzen Löchern", von denen offenbar kein Mensch nichts Genaueres weiß, außer, dass sie ihrer machtvollen Rätsselhaftigkeit gefräßig alles an sich ziehen, was in ihre Nähe gerät, dass sich ihrem eisernen Zugriff keine Macht des ganzen Universums zu entziehen vermag. Mir scheint, so was konnte man beim alten Homer auch schon finden. Die Löcher hießen damals freilich "Sirenen". Reizvollerweise wurden sie von Homer als weiblich imaginiert. Heutige "Schwarze Löcher" sind ja leider Neutra, was ihren Charme, meinem persönlichen Geschmack nach, erheblich vermindert.
Dann gibt es da noch die dunkle Materie, von der offenbar auch keiner weiß, was das sein soll. Und mit der dunklen Energie, ein, wie der Name schon sagt, vollständig dunkles, indes unentrinnbar machtvolles Gebilde, begibt sich die ganze hoch gelobte Wissenschaft, wie mir scheint, endgültig auf das Deutungsniveau ägyptischer Totenbuchschreiber oder mesopotamischer Ependichter: Sie ist auch nur Literatur.
Das Schöne für einen Literaturmenschen daran ist, dass die Literatur zuletzt doch obsiegt. Offenbar vermag nichts das im Kern literarische Wesen des Menschen und seiner Weltsicht zu erschüttern.