Die richtige Herkunft zählt
Bourdieus Erben
Einer, der sich stets dafür interessierte, wie soziale und ökonomische Rahmenbedingungen die Entwicklung des Einzelnen beeinflussen, war der französische Philosoph Pierre Bourdieu. Er hat im deutschsprachigen Raum zahlreiche wissenschaftliche Nachfahren.
8. April 2017, 21:58
Der Name des 2002 verstorbenen Wissenschafters Pierre Bourdieu ist untrennbar mit der Erforschung von gesellschaftlichen Eliten, ihren Netzwerken und Spielregeln verbunden. Außerhalb Frankreichs wurde Bourdieu vor allem mit seiner Analyse "Die feinen Unterschiede" aus 1979 bekannt.
Darin zeigt er, was Angehörigen der Unterschicht den Weg nach oben verstellt: Nicht etwa, dass sie weniger leisten würden als ihre Konkurrenten bürgerlicher oder aristokratischer Abstammung, aber nur Oberschichts-Angehörige beherrschen das in Chefetagen und Elitezirkeln erforderte Auftreten. Ihre soziale Herkunft prägt ihr Wissen, ihre Ausdrucksweise und gibt ihnen Sicherheit in Stil und Geschmacksfragen. Sie kennen die feinen Unterschiede, wie Bourdieu es nennt. So werden Oberschichts-Angehörige etwa in Bewerbungsgesprächen von den Entscheidungsträgern als ebenbürtig erkannt, akzeptiert und vor allem gefördert.
Karriere und soziale Positionen erwirbt man durch Geburt und nicht durch Arbeit. Der französische Philosoph Pierre Bourdieu wusste das schon in den 1970er Jahren. Das Tragische allerdings: Es bleibt ein offenes Geheimnis. Seitdem hat sich nichts verändert.
Karriere durch Sozialisation
Dass sich über Bildung gesellschaftliche Gleichheit erreichen lasse, entlarvte Bourdieu schon früh als eine Illusion. Im Gegensatz zu den Verfechtern der Elite-Theorie konnte er zeigen, dass es nicht etwa naturgegebene Begabungen sind, die Menschen Chancen eröffnen oder verschließen. Es sei das Beherrschen eines ganz bestimmten Zeichensystems, das ihnen den Platz an der Macht sichere.
Die notwendigen Voraussetzungen für gesellschaftlichen Aufstieg erwirbt man laut Bourdieu nicht in Bildungseinrichtungen oder in Manager-Kursen, sie werden über die Sozialisation vermittelt. Auch in "Bourdieus Erben" wird deutlich, dass sich Leistung nicht als Aufstiegsvehikel eignet. Besser als die Schulbank drückt man die Hände der richtigen Leute.
Bildungsbeflissenheit allein hilft nicht weiter. Bourdieu nennt das den "reinen, aber leeren Eifer", der nicht weiß, wo oben und wo unten ist. Die Orientierungspunkte fehlen. Dadurch wird die Ansammlung von Bildungselementen wertlos. Wer sich die Bildung so schwer zusammenstoppeln muss, dem fehlt natürlich das Spielerische.
Die Mühen der Kletterei
Sind all die Erfolgsratgeber und Karriere-Kurse wirklich umsonst, wenn man nicht die richtige Herkunft mitbringt? In "Bourdieus Erben" beschreibt der an der Universität Linz lehrende Philosoph Gerhard Fröhlich, wie schwierig es ist, den eigenen sozialen Status zu überwinden.
Die Kosten der Distinktion sind je nach Position unterschiedlich: Müssen die Oberen nur sein, wie sie sind, merkt man den Aufsteigern die Mühen der Kletterei an. Die Konkurrenz um das symbolische Kapital der Lebensstile produziert bei den Unterlegenen soziale Scham, ein wichtiges Moment der symbolischen Reproduktion sozialer Ungleichheit.
Soziale Netzwerke
Der Wiener Soziologe Christian Gulas schließlich zeigt in seinem Beitrag, wie sich die soziale Netzwerkanalyse die Ansätze Bourdieus bei der Erforschung und Abbildung konkreter Netzwerke nutzt, denn die Frage, wen man kennt, ist meist wichtiger als die Frage, was man kann.
"Bourdieus Erben" umfasst freilich nicht alle Facetten des Bourdieu'schen Wirkens. Der schmale Band gibt aber einen guten Einblick und macht Lust auf weiterführende Lektüre. Vor allem aber zeigt er, wie zeitgemäß und gültig die Forschungsarbeit Pierre Bourdieus heute noch ist.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
Elisabeth Nöstlinger, Ulrike Schmitzer (Hg.), "Bourdieus Erben. Gesellschaftliche Elitebildung in Deutschland und Österreich", Mandelbaum Verlag, ISBN 978-3854761945