Schriftsteller, die in kein Schema passen

Literarische Außenseiter

Wendelin Schmidt-Dengler versucht eine behutsame Rehabilitation jener Autorinnen und Autoren, die in verschiedenen Nischen der Literaturgeschichte abgestellt wurden, aber in keine ihnen zugewiesene Schublade passen.

Noch weniger pfleglich als die Literaturkritik ist die Literaturgeschichte mit den Autorinnen und Autoren umgegangen; allerdings werden in den Kompendien die Namen aufbewahrt, und zwar nicht nur die großen, sondern auch die kleinen. Viele ihrer Werke erweisen sich als überraschend aktuell und evident als Vorbote einer Modernität, deren Qualität erst in unseren Tagen erkennbar wird.

Christoph Martin Wieland

Christoph Martin Wieland (1733-1813) macht den Anfang, ein Erzähler, der der deutschen Sprache in der Prosa eine Geschmeidigkeit gab, die vorher einfach unbekannt war, der als Aufklärer dem Verdikt der Romantiker verfiel, den Sittenwächtern ein Ärgernis war und mit dessen umfänglichem Werk die Literaturhistoriker ihre liebe Not hatten. Er war aber seiner Zeit in der kompromisslosen Diagnostik seelischer und politischer Zustände weit voraus, und seine Schriften verfehlen auch heute nicht ihre satirische Wirkung.

Jean Paul

Umfänglich ist auch das Werk Jean Pauls (1763-1825); an ihm haben die meisten konventionellen Literaturgeschichten versagt, weil er sich weder der Klassik noch der Romantik zuordnen lässt und die Handlungen seiner Romane schwer zu fassen sind und keine Linie erkennen lassen. Die Kraft seiner Vergleiche, die scharfsichtigen Beobachtungen in seinen ästhetischen und pädagogischen Schriften machen ihn zu einem der fortschrittlichsten Theoretiker und Vorläufer des Surrealismus, von dessen Werk bis heute unzählige Impulse ausgehen könnten.

Charles Sealsfield

Charles Sealsfield (1793-1864) mag schon auf Grund seiner abenteuerlichen Biografie als Außenseiter gelten: Erst nach seinem Tod wurde bekannt, dass es sich bei ihm um den aus dem Prager Kreuzherrenstift im Jahre 1823 geflohenen Karl Postl handelte, der in den Vereinigten Staaten von Amerika sein Glück suchte und als Pamphletist und Romancier zu dem Kronzeugen der Europamüdigkeit avancierte. Er hatte mit seinen spannenden Amerikaromanen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts große Erfolge und damit auch ein Genre fest im deutschen Sprachraum etabliert, das die Fantasie der Jugend auf lange Zeit hin bestimmen sollte.

Nikolaus Lenau

Auch die Zuordnung eines Lyrikers wie Nikolaus Lenau (1802–1850) fällt schwer, zumal seine Gedichte meistens nur als ein melancholischer Nachhall der Romantik gelten; doch ist die Schwermut, die sich in den oft beklemmend düsteren Naturbildern niederschlägt, Ausdruck einer Verzweiflung, deren systemkritische Substanz unverkennbar ist, sodass Lenaus Werke in dieser Hinsicht mit denen Heinrich Heines verglichen werden können.

Else Lasker-Schüler

Auf Grund ihrer Lyrik und eines Dramas wird Else Lasker-Schüler (1869-1945) zwar in den Literaturgeschichten als die wichtigste Autorin des Expressionismus geführt, doch trifft dies nur einen Teil ihres Schaffens, das sich unter keiner bestimmten Stilrichtung subsumieren lässt. Ihr Werk wurde als "typisch weiblich" oder als "exotisch" bezeichnet oder fast ausschließlich mit Blick auf ihre Herkunft aus einer jüdischen Familie interpretiert; diese Aspekte sind zweifellos wichtig, doch wurden daraus vielfach Klischees abgeleitet, die der Vielfalt und Radikalität dieser Produktion nicht gerecht wurden.

Gerhard Fritsch

Ähnlich ist auch Gerhard Fritschs (1924-1969) Werk nicht nur als eine von habsburgischer Nostalgie in seinem ersten Roman "Moos auf den Steinen" geprägte Weltdeutung oder als deren sarkastischer Widerruf in seinem zweiten Roman "Fasching" zu lesen, sondern vielmehr als der verzweifelte Versuch, Gegensätze in der Literatur auszutragen und von den Spannungen zu künden, denen die "verlorene Generation" nach 1945 ausgesetzt war.

Brigitte Reimann

Brigitte Reimann (1933-1973) wollte mit ihrem Roman "Franziska Linkerhand" dem Konzept, das die Literaturgewaltigen in der DDR entworfen hatten, entsprechen, doch gerade dieser Roman ist ein höchst markantes Zeugnis für dessen Scheitern, was aber letztlich die Qualität dieses Buches ausmacht. Im Schreibprozess wird die Unmöglichkeit jeglicher Hörigkeit evident, und die Kritik an dem System, dem Brigitte Reimann durchaus dienen wollte, entsteht gleichsam gegen ihren eigenen Willen.

Thomas Bernhard

Thomas Bernhard (1931-1989) hat in allen autobiografischen Texten seine Position als Außenseiter immer wieder betont; er sei in die "entgegengesetzte Richtung" gegangen, er habe von außen die Hohlheit und die Verlogenheit durchschaut, er habe sich nicht von den Cliquen vereinnahmen lassen; dass auch seine schwere Krankheit und die stets wache Sensibilität ihn von der Geselligkeit zurückhielten, macht seine Position verständlicher. Hier will einer in seiner Besonderheit verbleiben und auch in dieser verstanden werden.

Bernhard erweist sich als einer, der mit keinem der vielen Ismen nach 1945 so einfach bedacht werden kann, und doch steht er heute im Zentrum der Aufmerksamkeit. Vielleicht lässt sich daraus die These ableiten, dass jeder, der ins Zentrum der Literatur kommen will, ob Autor oder Leser, an ihrer Peripherie zu beginnen hat.

Hör-Tipp
Literaische Außenseiter, jeden Sonntag, ab 17. Juni 2007, 9:30 Uhr

CD-Tipp
"Literarische Außenseiter", ORF-CD, erhältlich im ORF-Shop