Liberales Wien

Die vertikale Stadt

Ein Haus ist ein Hochhaus, wenn es in seiner Umgebung als sehr hoch, herausragend empfunden wird. In Wien stehen mittlerweile viele Hochhäuser; wie das städteplanerisch zu verantworten ist, darüber macht man sich erst in letzter Zeit Gedanken.

Hochhäuser von unten (Andrea Hauer)

Wien ist eine Hochhausstadt, und das bereits seit den 1950er Jahren. Nur fiel es lange Zeit kaum auf, denn zum einen galten laut Bauordnung bereits Gebäude ab einer Traufhöhe von 26 Metern als Hochhäuser, und zum anderen waren die - nicht allzu hohen - Türme der 1950er bis 1980er Jahre meist Bauten der öffentlichen Hand: Krankenhäuser, die Sozialversicherungszentrale und ein Studentenheim, einige Bundesamtsgebäude oder manch abgelegene Gemeindewohnanlage stellten zwar veritable Bausünden dar, fanden aber kraft ihrer Gemeinnützigkeit in der Bevölkerung Akzeptanz.

Boom in den 1990ern

Die Planungspolitik kümmerte sich nicht weiter um das Thema Hochhaus - bis Mitte der 90er Jahre im Gefolge von Ostöffnung und Österreichs EU-Beitritt ein wahrer Hochhaus-Boom ausbrach. Die Stadtregierung sah Wien plötzlich in Konkurrenz zu Budapest, Prag oder Warschau und meinte, nur durch Hochhäuser im Wettlauf um internationale Investoren bestehen zu können. Daher wurde so gut wie jedem nur erdenklichen Projekt die Genehmigung erteilt - ohne ein städtebauliches Gesamtkonzept für die Hochhausentwicklung Wiens.

Dabei gab es bereits 1972 einen ersten Entwurf für ein Hochhauskonzept - von Architekt Hugo Potyka. Nach akribischer Untersuchung stadtstruktureller und verkehrlicher, aber auch topografischer und stadtklimatischer Bedingungen ermittelte er geeignete Standorte, verträgliche Höhen und Bebauungsdichten künftiger Hochhausprojekte bis hin zu Vorgaben für deren Form und Gestalt. Herausragende Bauten, so Potyka, sollten nicht zufällig, sondern ganz bewusst als städtebauliche Dominanten entstehen.

Durchmischte Gebäudenutzung gefordert

Knapp zwei Jahrzehnte später wurde das Architektenteam Coop Himmelb(l)au von der Stadt Wien beauftragt, Kriterien für Hochhausprojekte zu formulieren. Auch in diesem Fall führte die Analyse von öffentlicher Verkehrserschließung, Bebauungsdichte und Sichtbeziehungen zu einigen ausgewählten Standorten für die gezielte Errichtung von Hochhäusern. Weiters regten Coop Himmelb(l)au eine durchmischte Gebäudenutzung an, also etwa Wohnungen, Büros und öffentliche Einrichtungen in ein und demselben Turm - als Grundvoraussetzung für das Entstehen von Urbanität, sowohl im Hochhaus als auch in dessen Umfeld.

Hugo Potyka sah in der Bewilligung von Hochhäusern eine Bevorteilung einzelner Grundeigentümer und dadurch den Gleichheitsgrundsatz verletzt, weshalb er finanzielle Abgeltungen an die Öffentlichkeit vorschlug. Ebenso sollten die Anrainer in ihren Rechten gestärkt werden, um sich gegen drohende Folgen von Turmbauten wie Windbelastung oder Beschattung schon im Vorfeld wehren zu können. Coop Himmelb(l)au wiederum empfahlen 1991 eine öffentliche Qualitätskontrolle bei der Umsetzung von Hochhausprojekten, zumal Bauträger im Zuge der Errichtung mitunter von genehmigten Plänen abweichen. Solcher Art Forderungen erschienen der Stadtregierung offenbar als zu investorenfeindlich, denn beiden Konzepten blieb der politische Beschluss versagt.

Investoren vs. Öffentlichkeit

So entstanden ab 1995 auf Basis politischer Einzelentscheidungen zahlreiche Hochhäuser, verteilt über ganz Wien, an stadtplanerisch teils bedenklichen Standorten und in oft beängstigender städtebaulicher Qualität - etwa in der Wienerberg City oder entlang der Wagramer Straße. Die Rendite-Wünsche der Investoren überwogen dabei sichtlich die Interessen der Öffentlichkeit - und anstatt die Bauträger zumindest dafür zur Kasse zu bitten, unterstützte das Rathaus sie noch durch die kostenlose Bereitstellung von Infrastruktur.

So wurden innerhalb von fünf, sechs Jahren knapp 30 Türme realisiert und weitere 20 Bauvorhaben bewilligt, darunter so skandalöse Projekte wie der Millennium Tower, der statt genehmigter 140 Meter ganze 202 Meter in die Höhe wuchs, oder das Projekt Wien Mitte, bei dem die Stadtregierung gemeinsam mit dem rathausnahen Investor eine wuchtige Hochhausbebauung gegen alle Bedenken der Anrainer wie auch der Fachöffentlichkeit durchsetzen wollte. Die breite Empörung darüber ließ die Stadt Wien im Jahr 2002 mit großer Verspätung dann doch ein Hochhauskonzept erarbeiten und auch beschließen.

Unverbindliches Hochhauskonzept
Darin sind jene Bereiche definiert, die für Hochhäuser nicht in Frage kommen - Landschaftsschutzgebiete, architektonische und denkmalpflegerische Schutzzonen sowie einige wichtige Sichtachsen. Alle anderen Teile der Stadt gelten weiterhin als potenzielle Eignungszonen, wobei das Konzept die Nähe zur U-Bahn, S-Bahn oder zu zwei Straßenbahnlinien als Bedingung nennt. Wien zählt allein 80 U-Bahn-Stationen, von den Schnellbahn- und Tramway-Haltestellen ganz zu schweigen. Und durch den geradezu grotesken Zusatz, dass auch die "mittelfristige Realisierbarkeit einer öffentlichen Verkehrsanbindung" genüge, um ein Hochhaus zu rechtfertigen, führt sich das Wiener Hochhauskonzept - das im Übrigen nicht einmal rechtsverbindlich ist - selbst ad absurdum.

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Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 16. Juni 2007, 17:05 Uhr

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