Die Verurteilung von Milan Martic in Den Haag

Der Sheriff von Knin

Milan Martic, ehemaliger Polizei-, später dann Verteidigungsminister und seit 1993 "Präsident" der international nie anerkannten Republik Serbische Krajina, wurde vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zu 35 Jahren Haft verurteilt.

Zu zweifelhaftem "Ruhm" kam Milan Martic, ehemaliger Polizei-, später dann Verteidigungsminister und seit 1993 "Präsident" der international nie anerkannten Republik Serbische Krajina, als er 1995 via TV den Befehl gab, Zagreb zu bombardieren. Dabei kamen damals sieben Zivilisten ums Leben. Nun wurde Martic vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zu 35 Jahren Haft verurteilt.

Nicht nur wegen dieses TV-Auftritts trug Martic den Spitznamen "Sheriff von Knin". Die verrückte öffentliche Bestätigung eines Befehls, in dessen Folge Zivilisten getötet wurden, zeigt nicht nur, dass ihm politische Intelligenz - was man bei ihm auch nicht erwarten sollte - fehlte. Sein selbstsicheres Verhalten zeigt auch, dass er sich sehr sicher fühlte und dass ihm die Idee, dass er für seine Untaten irgendwann zur Rechnung gezogen werden könnte, gar nicht kam. Er war eben der Sheriff, der Herr in seinem Revier, der über Leben und Tod erben frei entscheiden konnte.

Knin 1991-1995

Die Geschehnisse um Knin 1991 kann man als Anlass zum Krieg im ehemaligen Jugoslawien sehen. Knin, ein Städtchen etwa 60 km von der kroatischen Adriaküste entfernt, rückte damals ins Rampenlicht, als die lokalen Verwalter die Insignien des neuen kroatischen Staates abgelehnt haben. Um sich vom Druck der kroatischen Seite "zu schützen", blockierten sie die Straßen und Verkehrsknoten der Gegend - und kurz danach ernannten sie den unabhängigen "Staat Republika srpska Krajina". Einer der Anführer und Vollstrecker dieser Idee war der ehemalige Polizist Milan Martic, später als "Sheriff von Knin" bekannt.

Um sich noch mehr vor den Kroaten zu "schützen", wurden dann die verbliebenen Kroaten ermordet, vertrieben, ihre Güter geplündert und letztlich eine fast rein ethnische Republik geschaffen. Der ehemalige Revierpolizist machte Karriere. 1993 wurde er mit Hilfe aus dem "Mutterland Serbien" und dem damaligen Machthaber Slobodan Milosevic zum Präsidenten der Republik Serbische Krajina ernannt. Diese "Funktion" hatte er bis zum bitteren Ende seiner Republik 1995 inne. In diesem Jahr gelang es den Kroaten, ihr Gebiet mit einer gut organisierten militärischen Operation wieder an ihren Staat zu binden.

Die Schlussrechnung: 35 Jahre Gefängnis

Diese Operation verlief nicht ohne zwielichtige Vorfälle, in denen unschuldige Menschen Opfer wurden, aber das ist eine andere Geschichte. Die Folge dieser Operation war für Milan Martic und seine Mitdenker und Mittäter ganz klar: sie mussten fliehen. Nach der Flucht zunächst nach Serbien und später dann nach Banja Luka und Süd-Serbien, wo Martic unter dem falschen Namen Dragan lebte, und sich 2002 freiwillig dem Haager Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien stellte.

Nach den 1.855 Tagen, die er in Untersuchungshaft verbrachte hat und die ihm von der Haftzeit abgerechnet wurden, bekam er am Dienstag, den 12. Juni 2007, nun die Schlussrechnung für seine Aktivitäten: 35 Jahren Gefängnis. Für eine Person Milan Martic sollte man eigentlich nicht viel Zeit verlieren. Das wirkliche Problem liegt allerdings in der Frage, wie es überhaupt möglich ist, dass solche Menschen in Positionen kommen, wo sie über die Existenz ihrer Mitbürger entscheiden können. Und was noch mehr beunruhigt sind die Medien-Kommentare zu dieser Verurteilung aus den Ländern Restjugoslawiens, in diesem Fall aus Kroatien, Serbien und aus Bosnien-Herzegowina.

Interpretation kroatischer "Rechenmeister"

Die kroatischen "Rechenmeister" beschäftigen sich nun mit der Frage, inwiefern die Verurteilung von Milan Martic die Prozesse, die in Den Haag gegen kroatische Angeklagte wegen ihrer Taten in der Operation, in der Knin von Serben befreit wurde, beeinflussen kann. Ihre "Gleichung" sieht so aus:

Wenn man Martic wegen der Taten, die mit verbrecherischer Absicht begangen wurden, verurteilt, heißt dass, dass die mutmaßlichen kroatischen Verbrecher wegen der gleichen Absicht nicht schuldig sind. Weil, so die "Rechenkünstler", man nicht von beiden Seiten eine verbrecherische Absicht haben kann. Wenn jetzt die Verurteilung von Martic fix ist, dann könnten die Kroaten, meinen die "Rechnermeister", keine Verbrechen begangen haben.

Serbische Medien zurückhaltend

Anderseits verhalten sich die serbischen Medien sehr zurückhaltend. Sie haben sich anders, als man es von ihnen gewohnt ist, in ihren Berichten meist auf Agenturmeldungen beschränkt. Möglicherweise haben sie jetzt andere Probleme, wie zum Beispiel die Frage des Status des Kosovo, und dass sie daher Martic seinem Schicksal überlassen.

Die Journalisten der "meistgelesenen, unabhängigen Zeitung der serbischen Diaspora - Vesti", die in Deutschland ihren Sitz hat, haben sich Mühe gegeben, eine komparative Berechnung der Summe der ausgesprochenen Strafen, die die jeweilige Nation in Den Haag bekommen hat, zu präsentieren. Ihr Resultat ist klar: die Serben wurden, was sie selbstverständlich als Ungerechtigkeit empfinden, zu insgesamt 550 Jahren an Strafen verurteilt. Nur haben diese Pedanten völlig vergessen, die andere Seite dieser Gleichung zu erwähnen: nämlich die Opfer. Was in der Unklarheit der Werte, wie man die Verluste der Opfer darstellt, liegt. "Vecernje novosti - Abendliche Neuigkeiten" aus Belgrad bringt die Aussage des Sohnes von Milan Martic: er und seine Familie seien sehr stolz auf seinen Vater.

Eine erfreuliche Schlussfolgerung

Die Kenner der medialen, und nicht nur der medialen, Szene Süd-Osteuropas haben, ehrlich gesagt, nichts anderes erwartet. Die Medien reflektieren nur das, was in diesem Gebiet geschieht. Die Menschen lassen sich in Rechen-Operationen verwickeln, in denen sie ständig eine Seite der Gleichung auslassen und vergessen.

Daher ist es klar, dass die daraus folgenden Resultate täuschen - sich selbst und ebenso das Publikum. Die ganze Geschichte hat aber auch ihre positive Seite: Die zukünftigen "Möchtegern-Sheriffs" müssen nun damit rechnen, dass ihr Benehmen doch bestraft werden kann.