"Die documenta traut sich, klar zu sein"
Vier Fragen an Roger Martin Buergel
Seit Freitag ist es also soweit. Die Weltkunstschau documenta ist eröffnet und erwartet bis September an die 650.000 Besucherinnen und Besucher. Der deutsche Bundespräsident Horst Köhler eröffnete als symbolischer erster Gast die große Ausstellung moderner Kunst.
8. April 2017, 21:58
Trotz strömenden Regens haben tausende Menschen am Freitagabend am Eröffnungsfest der documenta teilgenommen. Einen Tag vor der offiziellen Eröffnung der "Weltkunstausstellung" durch Deutschlands Bundespräsident Horst Köhler feierten die Kasseler und ihre Gäste mit Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) und dem documenta-Team im Bergpark Wilhelmshöhe unterhalb der Herkules-Statue. Das Fest war das erste seiner Art bei den nunmehr zwölf documenta-Schauen.
Buergel im Interview
Das Interview mit documenta-Leiter Roger Martin Buergel führte Chris Melzer (dpa).
Melzer: Herr Buergel, welchen Anspruch stellen Sie an sich und die documenta 12?
Buergel: Wir wollen vor allem die Schere hinkriegen zwischen Amüsement und der nachhaltigen Erfahrung auf der documenta. Sie soll zum einen unterhalten, sie soll aber auch eine Ausstellung mit einem Bildungseffekt sein.
Das scheint oft ein unlösbarer Widerspruch zu sein?
Ach, da sind Sie zu streng. Ich will das Wort "Bildung" ja nicht mit "dem Bildungssystem" assoziiert wissen mit all seinen fabrikmäßigen Auswüchsen. Aber wir stellen uns die Frage, wie man bildungsferne Schichten erreicht und wie man sie an die Kunst heranführt. Das hat grundsätzlich etwas mit der Herangehensweise an Kunst zu tun. Ich merke, dass es da unglaubliche Missstände gibt. Da muss man Formate finden, die jenseits der betulichen Museumspädagogik liegen mit ihren komplett hermetischen Insidergeschichten. Ich glaube, dass die documenta so gemacht ist, dass sie wirklich jeden einzelnen willkommen heißt. Sie ergibt ein Ganzes, und sie spricht an, ohne süßlich zu sein. Sie baut aber auch gleichzeitig keine unnötigen Hürden auf und macht die Dinge, die eigentlich einfach sind, nicht kompliziert. Sie traut sich, prägnant und klar zu sein.
Haben Sie dabei einen Anspruch auch an die Besucher?
Ich habe den Anspruch an das Publikum, dass sie sich einlassen. Dass sie es eine Weile aushalten, etwas vielleicht nicht gleich identifizieren zu können. Es fällt Menschen manchmal schwer, Unentschiedenheit auszuhalten. Aber dass sie mal nicht einfach den Weg "Das finde ich bescheuert" oder den Weg "Das gefällt mir" gehen, sondern irgendetwas, was zwischen diesen beiden gleichermaßen banalen Optionen liegt. Diese Einstellung hat nicht unbedingt etwas mit Bildung oder Fachwissen zu tun. Das Interessante ist ja, ob sich die Leute ihre eigene Spontaneität erhalten haben. Man kann als Fachpublikum vollständig verbildet und damit dogmatisch auf einen Kanon festgelegt sein. Und man kann als jemand, der sich mit Kunst nie auseinander gesetzt hat, einen ursprünglichen und viel ehrlicheren Zugang zur Kunst haben. Zumindest, solange man sich selbst den Luxus gestattet, sich nicht vor sich selbst legitimieren zu müssen und selbstbewusst an die Sache herangeht.
Was soll von der documenta 12 bleiben?
Ach, mir wäre es am liebsten, wenn die Ausstellung unentscheidbar bliebe, wenn man nicht klar sagen könnte, dass das sehr gut oder sehr schlecht war. Das würde ich sehr genießen. Das endgültige Kriterium ist aber die Zufriedenheit der Künstler mit der Präsentation ihrer Arbeiten. Ob sie das Gefühl haben, verwurstet worden zu sein oder ob eine Wirkung auch jenseits von Verkaufserfolgen angestrebt wurde. Das ist doch das, was Kunst eigentlich ausmachen soll.
Mehr zur documenta in oe1.ORF.at
Erster Rundgang
documenta im Überblick
Mehr zur documenta in ORF.at
Link
documenta 12