Eindrücke aus Moskau - Teil 4

Mit Postkutschen auf Touristenfang

Moskauer kämpfen immer. Mit den Ellbogen in der Metro, mit Nebenjobs ums Überleben, mit Ruppigkeit gegen den Rest. Der Vorteil: Halb Moskau hängt ständig an den Mobiltelefonen und ist beschäftigt. So reduzieren sich die Chancen, angeschnauzt zu werden.

Das Einkaufen in Moskau gleicht nach wie vor einem Überraschungsei: man weiß vorher nicht, was drin ist. Beim Einkauf in einem Supermarkt beispielsweise hätte ich meine Tasche in ein Schließfach sperren sollen, wusste das aber nicht. Strafverschärfend: Ich hörte den uniformierten Security-Menschen beim ersten Anschnauzen nicht. Es folgte also eine kurze Strafpredigt, ein Blick, der kleine Kinder zum Weinen bringen könnte und ein Wink zur Garderobe. Nu, zumindest rief er mir "Djewuschka" (Anrede für eine junge Frau) und nicht "Schenschtschina" (Anrede für eine Frau jedes Alters) nach, wie es der letzte Ignorant getan hat. Kleine Freuden findet frau eben auch dort, wo sie sie finden will.

Servicegedanken 2007

Im Grunde möchte man Dinge, die einem fremd sind, verstehen. Oder die Chance darauf bekommen, sie zu verstehen. Ich zum Beispiel verstehe nicht, warum es Moskauern und -innen in Dienstleistungsberufen unmöglich ist, zu lächeln. Warum ich nach mühsam formulierten Fragen unwirsche Antworten erhalte, warum mir Marschrutka-Fahrer, deren Autotür offen ist, beim Einsteigen entgegenbrüllen, ob ich denn vollkommen blöd sei, dass ich in diese Marschrutka einsteigen wolle, wo doch vor ihnen eine andere Marschrutka stünde. Auch wenn diese verlassen da steht mit geschlossener Tür.

Im Grunde bin ich aber einfach nur beleidigt. Ich bin persönlich beleidigt bei jedem, der sich wieder einmal vordrängt mit Ellbogen in meinen Bauch. Oder bei Verkäuferinnen, die mich an der Kassa anstarren, als würden sie mir meine Wurst mit dem klingenden Namen "Doktorskaja" lieber nachschmeißen, anstatt zu verrechnen. Ich hasse es und frage mich, ob ich hier zur Misanthropin werde.

Aber dann gibt es eben doch auch die Guten. Die nette Fahrkartenverkäuferin am Leningradskij Bahnhof, die sich nicht nur geduldig mein schlechtes Russisch anhört, sondern auch noch langsam erklärt, welcher Platz denn wo im Zug am besten und günstigsten sei. Oder der Inhaber eines CD-Standes, der als Chormitglied schon zwei Mal im Stephansdom gesungen hat. Er erklärte mir nach einem verzweifelten Tag mit vielen barschen Moskauern nachsichtig lächelnd: "Djewuschka, Mädchen, das ist einfach unsere Kultur!"

Moskau für Anfänger

Inzwischen wird am Kommunikationswesen getüftelt.

Der Unterricht für angehende Fremdenführer zum Beispiel soll den Umgang mit Moskaureisenden perfektionieren, kulturellen Missverständnissen vorbeugen und die Tourismusbranche ankurbeln. Was ist zu tun, wenn Touristen Kritisches über das eigene Land wissen wollen? Auf welche Probleme muss man während eines Tages gefasst sein?

In einem Klassenzimmer mit Integrationstabellen an der Wand, brennen die Studenten darauf, mehr über die deutsche Sprache, und wichtiger noch, den richtigen Umgang mit Moskaureisenden zu erlernen. Irina Sergeevna gibt Anweisungen: mit lauter Stimme, nicht zu schnell, und ja nicht zu hoch, sei zu sprechen. Griechische Bezeichnungen wollen sorgfältig nachgeschlagen werden vor einer Führung, die Routen vorher abgegangen sein. Zum Abschluss der Stunde widmet sich die Lehrerin der präzisen Aussprache. Die Kursteilnehmerinnen (acht Frauen, ein Mann) sprechen drei Mal nach: Der Potsdamer Postkutscher putzt den Potsdamer Postkutschkasten.

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