Eine europäische Migrationspolitik
Migration und Integration
Fast jeder zehnte Einwohner Europas ist ein Zuwanderer. Die Migration ist ein Faktum. Deswegen sehen Experten die Notwendigkeit einer europäischen Migrationspolitik, nicht nur im Großen, sondern auch im Kleinen, in den Städten und Kommunen sowie in den Schulen.
8. April 2017, 21:58
Fast 200 Millionen Menschen leben weltweit nicht in ihrem Geburtsland. Fast ein Drittel aller Migranten lebt in Europa. Grund genug für Experten, eine europäische Migrationspolitik zu fordern. Es ist besser, Migration zu steuern als Migranten in die Illegalität zu drängen. Dann können die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, das Zusammenleben von Ethnien und das Bildungssystem gesteuert werden.
Keine Erfindung des 20. Jahrhunderts
Migration ist keine Erfindung des 20. Jahrhunderts, sie hat eine lange Tradition. Da ist etwa an die jahrhundertlange europäische Expansion vor allem nach Amerika zu denken, aber auch an die Migration von Arbeitskräften im Zeitalter der Industrialisierung innerhalb Europas. Im 20. Jahrhundert kommt es vor allem in Folge von Krieg und Diktatur zu Flucht und Vertreibung.
Nach dem Zweiten Weltkrieg begannen westeuropäische Länder, gezielt Arbeitskräfte vor allem aus Südeuropa und Nordafrika anzuwerben. Anfang 1970 wurde diese Praxis gestoppt. Der Fokus der Migration verlagerte sich auf den Familiennachzug. Seit Ende der 1980er Jahre gewann die irreguläre Zuwanderung nach Europa an Bedeutung.
Braucht Europa Zuwanderung?
Europa altert. Ohne Migration würde die Bevölkerungszahl zurückgehen. Zuwanderung junger arbeitsfähiger Menschen kann helfen, das Pensionssystem zu sichern. Alternativen wären ein höheres Pensionsantrittsalter, Pensionskürzungen oder höhere Beiträge zur Pensionsversicherung. Ein Allheilmittel zur Lösung von Problemen im Bereich der sozialen Absicherung ist Migration allerdings nicht, denn auch die Zuwanderer werden älter.
Will Europa die Ziele der Lissabon-Strategie erreichen und bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt werden, braucht es qualifizierte Zuwanderer. Aufgabe der Politik ist es, ein Klima zu schaffen, in dem sich Zuwanderer wohl fühlen können.
Gewinner und Verlierer der Migration
Migration sollte nicht immer unter dem Blickwinkel der Nützlichkeit für die Einwanderungsstaaten gesehen werden. Das gilt auch für die Auswahl der Einwanderer. Während hoch qualifizierte Experten in der Regel willkommen sind, werden für andere die Grenzen dicht gemacht. Das hat Auswirkungen auf jene Länder, aus denen die hochqualifizierten Experten emigrieren. "Brain drain" lautet der Fachbegriff für diese Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte. Eine europäische Migrationspolitik muss deshalb den Dialog von Heimatländern und Zielländern der Migranten ermöglichen.
Stadtluft macht frei!
Dichte, Vielfalt, Anonymität und ein geübter Umgang mit dem Fremden zeichnet die Stadt aus und macht sie für Migranten attraktiv. Deshalb werden vor allem Städte zu Orten der Begegnung und des Konflikts zwischen Einheimischen und Zuwanderern. Aus diesem Grund sind aber gerade in den Städten Institutionen nötig, die vor Ort die Integration der Zuwanderer begleiten, sowohl in der Stadtplanung als auch in der Vermittlung bei Konflikten.
Ein Amt für multikulturelle Angelegenheiten
Beispielhaft ist das Amt für multikulturelle Angelegenheiten in Frankfurt am Main. Es wurde 1989 von einer rot-grünen Stadtregierung auf Anregung Daniel Cohn-Bendits gegründet und sieht sich als Einrichtung für die Migranten und die einheimische Bevölkerung. Wenn eine der 152 religiösen Einwanderergemeinden in Frankfurt ein Gotteshaus oder religiöses Zentrum errichten will, wird nicht nur die Baubehörde, sondern auch das Amt für multikulturelle Angelegenheiten beigezogen.
Wie komplex die Situation in einer Stadt wie Frankfurt geworden ist, zeigt ein Blick auf die Herkunft der Kinder und Jugendlichen. Nur mehr 35 Prozent der Kinder haben zwei deutsche Eltern, 17 Prozent sind Ausländer, der Rest hat zumindest einen nicht-deutschen Elternteil.
Das Bildungssystem ändern, nicht die Migrantenfamilien!
Bildung und Schule hängen auch eng mit der Regionalplanung zusammen. Dass es Schulen gibt, in denen ein Großteil der Kinder und Jugendlichen aus Migrantenfamilien kommt, hat mit der Konzentration der Migranten in einzelnen Stadtvierteln zu tun. Regionalplaner treten deshalb für eine Förderung gemischter Wohnviertel ein.
Überdies zeigen Studien, dass der Wert von Bildung in Migrantenfamilien meist höher ist als im Schnitt. Die Ursachen für Bildungsdefizite von Migrantenkindern in Deutschland und Österreich liegen also weniger in der Qualifikation der Kinder oder im familiären Umfeld als in der Struktur des Schulsystems. Die frühe Selektierung in verschiedene Schultypen fördert die Vorstellung homogener Klassen und behindert die Förderung bei individuellen Schwächen. Hier muss die Bildungspolitik ansetzen. In den skandinavischen Ländern, in denen es nicht zur frühen Selektierung kommt, zeigen Migrantenkinder deutlich bessere Schulleistungen. Die europäischen Staaten müssen hier voneinander lernen, ohne einheitliche Regelungen für ganz Europa zu finden. Das dezentral organisierte schwedische Schulsystem reagiert am besten auf die Herausforderungen der Migration.
Hör-Tipp
Salzburger Nachtstudio, Mittwoch, 20. Juni 2007. 21:01 Uhr
Links
International Organization for Migration
Salzburger Bildungshaus St. Virgil
Europäisches Forum Alpbach