Mit Humor und Komik

Jean Paul

Jean Paul stellt bis in unsere Tage eine Verlegenheit der Literaturgeschichtsschreibung dar. Seine Stärke liegt im kleinen Detail, in der kleinen Beobachtung, in der Formulierung und vor allem in den sprachlichen Bildern.

"Flegeljahre" ist ein äußerst komischer Roman.

Es sind vor allem fünf Romane, die Jean Paul bekannt gemacht haben. 1793 erscheint sein erster Roman "Die unsichtbare Loge". Auch heute liest sich dieses Buch noch als eine unerhört interessante Ansammlung kurioser und witziger Einfälle. "Hesperus", 1795 erschienen, wurde dann der große Erfolg. Sein nächster Roman ist in die Literaturgeschichte schon durch seinen bemerkenswerten Titel eingegangen: "Blumen, Frucht und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel". Als "Siebenkäs" ist das Buch bekannt geworden. Man achte aber auf die Reihenfolge Tod, Hochzeit und Armenadvokat, das heißt hier ist die Chronologie verkehrt worden.

1803 erscheint sein großer Roman "Titan". Hier hat Jean Paul das Genre gewechselt, es ist nicht die deutsche Kleinstädterei, es ist eine Hof- und Staatsaktion, um die es hier geht. Vor allem aber - und das zeichnet dieses Buch meiner Meinung nach aus - gibt es gewaltige Naturschilderungen. Es gibt kaum so eindrucksvoll geschilderte Mondnächte wie in diesem Roman.

Doppelroman "Flegeljahre"

Der Roman, der sich am ehesten einer breiteren Leserschaft erschloss, sind die "Flegeljahre", ein komischer Roman, ein witziger Roman, ein Roman, der von zwei Zwillingsbrüdern handelt, Walt und Vult. Die beiden wollen zusammen einen satirischen Roman mit dem hübschen Titel "Hoppelpoppel" schreiben.

Dieser Doppelroman zeigt auch die gespaltene Seele des Autors an, denn eine der entscheidenden Erfahrungen - und es gibt wenige Autoren, bei denen diese Erfahrung so radikal gestaltet wird - ist die Ich-Erfahrung. Immer wieder merkt man, wie die Figuren bei Jean Paul zu sich selbst in ein gespanntes Verhältnis treten - sei es in Träumen, sei es in Bildern. Sie sehen plötzlich ihren Genius, ihren Geist, sie sehen sich abgespalten von sich selber.

Ich und ich

In seiner Selberlebensbeschreibung hat Jean Paul eindrucksvoll dargestellt, wie er diese Ich-Spaltung an ihm selber vollzogen hat. Das hat er in ganz frühen Jahren erlebt und offenkundig hat ihn das ein Leben lang begleitet. Er schreibt:

Nie vergesse ich die noch keinem Menschen erzählte Erscheinung in mir, wo ich bei der Geburt meines Selbstbewusstseins stand, von der ich Ort und Zeit anzugeben weiß. Einen Vormittag stand ich als ein sehr junges Kind unter der Haustüre und sah links nach der Holzlage, als auf einmal das innere Gesicht "Ich bin ein Ich" wie ein Blitzstrahl vom Himmel vor mich fuhr und seitdem leuchtend stehen blieb. Da hatte mein Ich zum ersten Male sich selber gesehen und auf ewig.

Theoretische Schriften

Jean Paul ist in seinen späten Jahren selber zu seinem früheren Schaffen als Erzähler in eine starke Opposition getreten. So schreibt er einmal in seiner Selberlebensbescheibung:

Jetzt arbeite ich an der Beschreibung meines Lebens. Ich bin aber durch die Romane so sehr ans Lügen gewöhnt, dass ich zehnmal lieber jedes andere schriebe.

Also es ist ihm klar, dass die Fiktion abgedankt hat, dass die Fiktion vorbei ist, und er widmet sich nun der Theorie. Auch hier sind zwei sehr bemerkenswerte Schriften zu erwähnen, vor allem seine "Vorschule der Ästhetik", die 1804 erschien, wo er in verschiedenen Programmen Literatur zu beschreiben versucht, die Frage nach dem Humor, die Frage nach der Komik, die er sehr feinsinnig differenziert. Komik besteht auch im Verlachen, in der Fähigkeit zu lachen, besteht im Ausleben des Kontrastes.

Sein zweites Werk "Levana", eine Erziehungsschrift, kann als die vielleicht wichtigste pädagogische Schrift in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bezeichnet werden. Hier werden Gedanken von Jean Jacques Rousseau ausgebaut, hier versucht Jean Paul seine Kindheitserfahrungen zu verarbeiten und zu einer anderen, der Welt freundlicher zugewandten Pädagogik zu führen, das heißt in der Naturbeobachtung, in der Beobachtung der Gegenstände.

Vorläufer der Traumdeutung

Interessant wird Jean Paul vor allem durch seine Widersprüche. Auf der einen Seite ist er ein gutbürgerlicher Autor, der weiß, wie gut er in der Ehe aufgehoben ist und daher auch das Glück des Heimes zu schätzen wusste, auf der anderen Seite hält er es dort nicht aus. Das ist wohl der romantische Zug an seinem Wesen; ein Romantiker auch in der Naturauffassung, ein Romantiker in seinem Hang zum Allgemeinen, zum Kosmischen, auch ein Romantiker vor allem in seinem Hang zu seinen Nachtbildern, denn die Nacht ist der entscheidende Faktor im menschlichen Leben. Die Nacht ist es, wo wir uns selber gegenüber treten, die Nacht ist es, die von den Träumen bestimmt wird, und die Träume, das ist einer der ganz wesentlichen Faktoren seiner Erzählung. Er ist einer der besten und ersten Traumanalytiker der Weltliteratur. Man könnte in ihm auch einen der großen Vorläufer der Traumanalysen des 20. Jahrhunderts erblicken.

Hör-Tipp
Literarische Außenseiter, Sonntag, 24. Juni 2007, 9:30 Uhr

CD-Tipp
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