Tempi, Wiederholungen, Pausen
Der Klang der Zeit
Die Gesetzmäßigkeiten der Musik sind zeitlich streng strukturiert. Tempi, Pausen und Wiederholungen sind Elemente der musikalischen Textur. In ihrer Wahrnehmung werden die Tonfolgen subjektiv vernetzt und heben scheinbar das Zeit-Raum-Kontinuum auf.
8. April 2017, 21:58
Thomas Daniel Schlee über das Regelmaß in der Musik
Die Frage nach der Zeit in der Musik stößt auf die Schallmauer des Denkmöglichen. Denn wie die Musik ist auch die Zeit mit unserer individuellen Wahrnehmung verbunden. Der Faktor Zeit verweist in der Musik aber nicht nur auf ihre Vergänglichkeit.
Tempi, Wiederholungen und Pausen strukturieren die musikalische Textur. Werden die musikalischen Notizen jedoch zum Klingen gebracht, verschmelzen die Töne zu einem Klangerlebnis, das Assoziationen frei setzt und einen neuen, inneren Raum eröffnet.
Die Geburt der Zeit
Für den französischen Komponisten Olivier Messiaen war die Geburt der Zeit, als Gott im Augenblick der Schöpfung in die Hände klatschte. Mit dem zweiten Klatschen entstand der Rhythmus. Darum war für Olivier Messiaen der Rhythmus unregelmäßig, denn er beschrieb das Intervall zwischen zwei Unendlichkeiten, ein Intervall, das gedehnt, gestreckt und wiederum unterteilt werden kann.
Sein Schüler Thomas Daniel Schlee hingegen sucht das rhythmische Regelmaß in der Musik. Er sieht sich damit in der Tradition der abendländischen Kultur.
Dramaturgie der Wiederholung
In der Musik ergibt sich der Rhythmus aus der Wiederholung. Sie ist das Charakteristische für diese Kunstgattung. Und wiederholt wird mit unterschiedlicher Absicht. Wenn in einem Tanz oder Trinklied die Refrains einsetzen, dann fordern sie zum Mitsingen auf. Die Trommler der Sufis hingegen schlagen den gleich bleibenden Rhythmus, um ihre Tänzer in Trance zu versetzen.
Diese Musikformen sind zyklisch, prozessuales Denken stört hier. Man muss aber unterscheiden zwischen der Wiederholung und der Wiederkehr eines bereits Gehörten, das nach einem mehr oder weniger abweichenden musikalischen Abschnitt erklingt, sagt der Musikwissenschafter Manfred Angerer von der Universität Wien. Denn selbst wenn ein Thema nicht variiert wird, wird die Wiederkehr des bereits gehörten vom Hörer anders wahrgenommen.
Verdichtete Zeit - reale Zeit
Mit der Aufführung des Musikstückes erklingt die verdichtete Zeit des Komponierens. Denn oft verbringt der Komponist Stunden, manchmal Tage, um einen Takt zu schreiben. Mit der Aufführung wird Gedachtes wirklich und schafft einen neuen Zeitrahmen.
Hörbar wird diese Differenz im Tempo, erklärt der Komponist Christian Muthspiel. Denn beim Komponieren denke er selten an die realen Aufführungsbedingungen. Das Zusammenspiel der Musiker, die Akustik des Raumes und die Interpretation des Dirigenten verändern das Tempo.
Rubato, Fermate und Pause
Die verdichte Zeit, die in den Partituren notiert ist, wird mit der Interpretation der Komposition in reale Zeit übersetzt. Und hier hängt es vom subjektiven Zeitgefühl des Interpreten ab, wie schnell oder langsam er eine Passage spielt. Denn die Taktangaben geben nur einen Richtwert. Auch können die Klangräume innerhalb eines Taktes gedehnt und gestreckt werden. Schon die leichte Betonung auf der ersten Note - und nicht auf der dritten - verändert den Charakter des Werkes. Diesen Spielraum, den ein Interpret hat, setzen Komponisten aber auch als Gestaltungsmittel ein - und vermerken auf der Partitur zur Taktangabe: Rubato.
Rubato entsteht aus der Dynamik des Atems. Es ist der Ausdruck des körperlichen Empfindens, das Synonym für das Lebendige. Für den Komponisten Thomas Daniel Schlee ist Rubato auch die Unregelmäßigkeit im Regelmaß, den der Rhythmus vorgibt.
Die Zeit des Atemholens
Die Fermate wird in der Notenschrift als umgekehrte Parabel mit einem Punkt in der Mitte notiert. Das Zeichen weist den Musiker an, dass er in der Bewegung aushalten oder innehalten soll. Mit der Fermate wird der Ton gedehnt oder die Pause verlängert. Sie lässt den Ton ausschwingen.
Die Pause wiederum ist die Zeit des Atemholens. Sie setzt einen neuen Impuls, sagt Christian Muthspiel. Die musikalische Pause ist das partielle Verstummen von gespielten Tönen. Analog zu den Notenwerten gibt es Pausenwerte, die in Ganze-, Halbe- oder Viertelpausen unterteilt sind. Die Pause, so meint Karl Heinz Essl, sei gleich wichtig wie der Klang. Darum hat der US-amerikanische Komponist John Cage, der Musik als Aktivität von Ton und Stille verstand, die Pause als wichtiges Gestaltungselement gesehen.
Musik aus Pausen
Cages Stück 4'33'' entspricht exakt der angegebenen Zeit. Die drei Sätze werden durch das Auf - und Zuklappen des Klavierdeckels gekennzeichnet. Dazwischen liegen drei Pausen. Hörbar sind allein die Geräusche, die das Publikum macht.
Die Frage nach der Pause in der Musik zu stellen, ist eine philosophische - oder eine ideologische. Denn der französische Komponist Olivier Messiaen hat die Pause als Fortsetzung des Tons gesehen, und sie diesem zugerechnet. Pierre Boulez hingegen betrachtete die Pause als Gegenwelt zum Klang.
Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 25. Juni 2007 bis Donnerstag, 28. Juni 2007, 9:45 Uhr