Willkommener Anlass oder Auslöser?

Das Attentat von Sarajewo

Am 28. Juni 1914 wurden der österreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau in Sarajewo ermordet. Die Tat war, so die Historikerin Brigitte Hamann, ein "willkommener Anlass, aber nicht der Auslöser für den Ersten Weltkrieg."

Trotz enger verwandtschaftlicher Beziehungen zwischen den Herrscherhäusern und wirtschaftlicher Verflechtungen zwischen den Staaten schlitterte Europa im Sommer 1914 in Folge des Attentats vom 28. Juni, bei dem der österreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gattin Sophie in Sarajewo vom serbischen Attentäter Gavrilo Princip ermordet wurden, in einen unheilvollen Krieg, dessen Folgen das 20. Jahrhundert prägten.

Keine Reaktion

"Wenn das Attentat von Sarajevo der Grund für den ausbrechenden Weltkrieg gewesen wäre, dann hätte es an einem der darauf folgenden Tage zu einer Kriegserklärung kommen müssen", meint die Historikerin Brigitte Hamann.

"Aber was ist passiert? Kaiser Franz Joseph ist nach Bad Ischl auf die Jagd gefahren. Der deutsche Kaiser Wilhelm hat seine Nordlandreise gemacht. Sonst ist nichts passiert."

Verhandlungen im Hintergrund

Natürlich habe sich hinter den Kulissen schon einiges ereignet. Die Militärs überlegten, ob sich das Attentat diplomatisch dazu nützen ließe, um den lange geplanten Krieg gegen das Königreich Serbien erklären zu können. Hinter dem Rücken der Kaiser wurde zwischen Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich verhandelt.

"Die Deutschen versprachen den Österreichern militärisch beizustehen, für den Fall, dass die Schutzmacht der Serben, das russische Reich, in den Krieg eingreifen sollte. Was man in Wien nicht bedachte, war, dass Deutschland ganz andere Pläne hatte. Dort wurde ein Krieg gegen Frankreich vorbereitet", meint Hamann.

Unerwartete Entwicklungen

Gut drei Wochen nach dem Attentat entschloss sich das österreichische Außenamt ein Ultimatum an Serbien zu verfassen, um den Krieg auszulösen. Völlig unerwartet war Serbien in vielen Punkten bereit, auf die für unannehmbar gehaltenen Forderungen einzugehen.

"Kaiser Franz Joseph blieb in Ischl und unterzeichnete die Kriegerklärung. Das zeigt, wie nebensächlich das Ganze aufgefasst wurde, wie oberflächlich und leichtsinnig man bereit war, in einen Krieg zu gehen", sagt die Historikerin Hamann. "Als die Deutschen zu Beginn des Österreichisch-Serbischen Kriegs in Belgien einfielen, um gegen Frankreich mobil zu machen, passierte dann das Unerwartete. England trat in den Krieg ein, denn es hatte die belgische Neutralität garantiert."

So wurde innerhalb kurzer Zeit aus dem 3. Balkankrieg ein Weltkrieg, der vier Jahre dauern und etwa zehn Millionen Menschen das Leben kosten sollte. "Die Ermordung des Thronfolgers war also willkommener Anlass, dem ausbrechenden Krieg lagen jedoch viel tiefer gehende Spannungen zugrunde", sagt Hamann.

Hör-Tipps
Betrifft Geschichte, Montag, 25. Juni bis Freitag, 29. Juni 2007, 17:55 Uhr

40 Jahre Ö1, "Die letzten Tage der Menschheit" Montag, 2. Juli 2007 bis einschließlich Freitag, 31. August 2007, jeweils von Montag bis Freitag,14:40 Uhr

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CD-Tipp
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