Karl Kraus' Monumentalwerk in der Radioversion
Die Unaufführbaren
Die einzigartige ORF-Produktion "Die letzten Tage der Menschheit" aus dem Jahr 1974 unter der Regie von Hans Krendlesberger wird in 45 Folgen ausgestrahlt. In der ungekürzten Werkausgabe wirken unvergessliche Bühnenstars mit.
8. April 2017, 21:58
Die Frage, ob Karl Kraus' kolossale Tragödie von den "Letzten Tagen der Menschheit" aufführbar oder gar bühnentauglich sei oder nicht, wird gewiss noch gern gestellt und rüstig beantwortet werden, wenn sie demnächst in ihr neunzigstes Jahr geht. Sie hat Bühnenaufführungen, Lesungen - "szenisch" oder auch nicht - Bearbeitungen, Auswahlen, Fernseh- und Festspielfassungen, Hörspielbearbeitungen, kurzum: alle nur denkbaren Darbietungsformen des Unsäglichen in derartiger Frische überlebt, dass sich eben daraus die zweite Frage ergibt, ob denn die erste, vom Autor erstmals 1919, im Vorwort der ersten Druckausgabe ausdrücklich nicht beantwortete Frage nach der Aufführbarkeit überhaupt sinnvoll sei - oder ob Karl Krausens viel zitierter Verweis auf ein "Marstheater" Teil der gespenstischen Satire gewesen ist, mit der er als Künstler (und keineswegs als Dokumentarist) jene Vision der Pervertierung alles Menschlichen durch den Maschinen- und Kapitalkrieg beschwor. Die Urheberrechtspflege hat es für eine abschlägige Antwort genommen und das Stück erst 1964 für einen ersten Aufführungsversuch (bei den Wiener Festwochen) freigegeben.
Nicht von Schnitzler, nicht von Bahr
"Die letzten Tage der Menschheit" würden, so schrieb Karl Kraus 1922 in der "Fackel", gewiss auch in hundert Jahren als Dichtung noch "am Leben sein", denn sie seien ja nicht von Schnitzler oder von Hermann Bahr, "sondern nur von uns allen".
Kraus hat in seinem Vorwort zur Buchausgabe der fünfaktigen Tragödie "die Aufführung des Dramas, dessen Umfang nach irdischem Zeitmaß etwa zehn Abende umfassen würde" (...) "einem Marstheater zugedacht."
Nichts für "Theatergänger dieser Welt"
Die schiere Länge - die Spielzeit der ORF-Produktion beträgt tatsächlich ungefähr zehn mal zwei Stunden - war und ist die Motivation für Auswahllesungen und Szenenmontagen, die allesamt viel besser gemeint als gelungen sind, weil sie allesamt die Proportionen, und gerade die übermäßigen, verzerren, Strukturen verändern, Pointen vergröbern, Gelächter erzeugen - das Schweigen brechen.
Weil es auf einer Bühne, damit es (laut Regieanweisung) "von unten regnet", von unten regnen muss.
"Theatergänger dieser Welt vermöchten ihm" - dem Stück - "nicht standzuhalten", steht auch in diesem viel zitierten Vorwort. Weil sie eben Theatergänger dieser Welt sind, die nicht die des Dramas ist; denn dessen theatralische Kostümierung, dessen Personage samt Regieanweisungen ("Der Kaiser lacht wie ein Wolf") ist satirisches Mittel zum kosmischen Zweck.
Eine Kraussche Komposition
"Ich habe gemalt, was sie nur taten", schreibt Kraus über das satirische Fundament des Ganzen. Und so widerstrebt jegliches Tun und noch so inspirierte Herumfuchteln kategorisch dem Bild, das der Wortkünstler komponiert hat.
Die textgetreue, vollständige Re-Produktion dieses Bildes im Imaginationsmedium Radio (1974 zum 100. Geburtstag von Karl Kraus geschaffen) ist die der Kraus'schen Intention zweifellos am ehesten gerecht werdende und, noch wichtiger, sie ganz sicher nicht verfälschende Darbietungsform.
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Hör-Tipp
Die letzten Tage der Menschheit, Montag, 2. Juli 2007 bis einschließlich Freitag, 31. August 2007, jeweils von Montag bis Freitag,14:40 Uhr