"Poetische Kraft"
Lutz Seiler ist Bachmann-Preisträger
Der Deutsche Lutz Seiler erhielt für seinen Text "Turksib" den Ingeborg-Bachmann-Preis. Damit hat Seiler, der bis jetzt vorwiegend für seine Lyrik bekannt war, bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur auch als Erzähler seine Qualität bewiesen.
8. April 2017, 21:58
Als Lyriker ist Lutz Seiler bisher vor allem wahrgenommen worden. Nun hat sich der 44-jährige Hauptpreisträger im Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb auch als Erzähler bekannt gemacht - und mit seiner leisen, kunstvoll verschiedene Ebenen verknüpfenden Prosa viel Begeisterung geerntet. Seine Erzählung zeige, "was Sprache kann, wenn sie ihre poetische Kraft entfaltet", war nur eine der euphorischen Jurystimmen zu seinem Text. In seinem Schreiben wie auch in seiner Vortragsweise zeigte sich Seiler dabei beherrscht, genau und souverän. Auch als die Spannung bei der Wahl zum Haupt-Preisträger in Klagenfurt stetig stieg, weil immer neue Stichwahlen nötig waren, blieb der gebürtige Thüringer nach außen ruhig.
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"Seiler setzt neue Maßstäbe"
Sein Beitrag, eine poetische Reisebeschreibung auf der turkistanisch-sibirschen Eisenbahn, verknüpft auf raffinierte und mitunter rätselhafte Weise verschiedene historische, räumliche und inhaltliche Ebenen. Ein Gestaltungsprinzip, das der Autor auch in seiner Lyrik und in seinen Essays auf überzeugende Weise anwendet. So bescheinigte ihm die "Süddeutsche Zeitung", seine "Kunst der Verknüpfung" zeige sich als "Schauspiel der fädelnden Einbildungskraft".
Dabei würdigen Kritiker nicht allein seine hohe Sprachbeherrschung und ausgeprägte Stilsicherheit. "Auf welcher Reflexionsstufe sich Kunst heute bewegen muss, dafür setzt Lutz Seiler Maßstäbe", heißt es im selben Atemzug. Dennoch wurden seine zahlreichen Veröffentlichungen - die von den Gedichtbänden "berührt/geführt" oder "vierzig kilometer nacht" über die Essay-Veröffentlichungen "Sonntags dachte ich an Gott" und "Die Anrufung" bis zum Hörbuch "vor der zeitrechnung. Gedichte und Erzählungen" reichen - vor allem unter Kennern wahrgenommen.
Zahlreiche Lyrik-Preise
Unter Literaturfreunden bekannt ist der unspektakulär wirkende Schriftsteller mit dem bedächtigen, dabei bestimmten Auftreten an seinem Wohnort Wilhelmshorst bei Berlin als Programmgestalter des Peter-Huchel-Hauses. In der Szene ist der vielseitige Literat auch als Mitherausgeber der Literaturzeitschrift "moosbrand" aktiv. Für sein Werk wurde er bereits vielfach ausgezeichnet, so mit dem Kranichsteiner Literaturpreis (1999), dem Dresdner Lyrikpreis (2000), dem Anna-Seghers-Preis (2002), sowie dem Bremer Literaturpreis (2004).
Erinnerungen an die DDR
Lutz Seiler wurde am 8. Juni 1963 in Gera in Thüringen geboren. Er absolvierte eine Lehre als Baufacharbeiter und arbeitete als Zimmermann und Maurer, bevor er in Halle und dann Berlin Germanistik studierte. Zur Literatur war er nach eigenen Angaben erst gekommen, als er den Wehrdienst in der DDR-Armee ableistete. Ausschlaggebend, so erzählt er selbst, sei eine Begegnung mit Gedichten von Peter Huchel gewesen. In seinen eigenen Gedichten beschäftigt er sich immer wieder mit seiner Kindheit, die eng verknüpft ist mit der Atmosphäre des Uran-Bergbaus: Sein Heimatdorf Culmitzsch wurde Opfer des Bergbaus und wurde geschleift.
Über die Bilder aus der Kindheit hinaus beleuchtet er in seinem lyrischen Werk immer wieder Erinnerungen aus der Zeit der früheren DDR, die etwa die "Welt" als "scharf ausgeleuchten, sarkastisch-böse und gutteils auch auf ironische Weise verständnisvoll" lobte. In einem ausgeprägt lyrischen, dabei klar analytischen und präzisen Ton holt er verschwundene Dinge ans Licht, ohne sentimental oder pathetisch zu werden.
Ihm gehe es nicht allein um die Geschichte, sondern darum, ihren Ton zu erzählen, beschreibt Seiler seinen Ansatz. Eben diese gekonnte und geglückte Verbindung von Sprache und Inhalt fand auch in Klagenfurt großes Lob in der Jury - und viel Aufmerksamkeit im Publikum.
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