Literarischer Zuwachs an der ÖNB
Historische Kinderbücher
Die österreichische Nationalbibliothek hütet einen wertvollen Bestand an historischer Kinderliteratur. Erst kürzlich wurden wieder 40 Bände aus einem Antiquariat angekauft. Jetzt wird die Sammlung der Öffentlichkeit im Internet präsentiert.
8. April 2017, 21:58
Mit deiner Hülfe sprach sie zu ihrem Gatten, werde ich die mächtigste in den Feenkünsten sein. Wenn du zu diesem unschuldigen Scherze beitragen willst, so wird dieses für mich ein angenehmer Zeitvertreib sein, welcher überdies, den Vorteil gewähren wird, die Fehler Heinrichs und Mariens zu vernichten oder zu beschränken. Denn auf diesen wichtigen Gegenstand denke ich meine Absicht zu richten.
Im besten Fall strotzen Bücher für Kinder und Jugendliche von phantasie-beflügelnden Abenteuern und gleichzeitig auch von erzieherischem Mehrwert, immer aber sind Kinderbücher ein Spiegel der Zeit, in der sie geschrieben werden.
Es war einmal in Frankreich
In der Aufklärung wird das Kind in Europa als ein eigenständiges Wesen entdeckt und zum Adressaten einer eigenen Literatursparte erkoren, die die Neugierde und die Freude am Lesen wecken will.
Frankreich war tonangebend in der europäischen Kinderliteratur. Ein im Original französisches Buch für Mädchen und Mütter aus der Sammlung Nebehay trägt den Titel "Die wohltätige Fee oder die sinnreiche Mutter" und ist in deutscher Fassung 1816 in Wien erschienen. Die Autorin Sophie de Senneterre de Renneville genoss eine exzellente Erziehung, dank der sie ihre verarmte Familie mittels höchst erfolgreicher Kinderbücher über Wasser zu halten vermochte.
In "Die Wohltätige Fee oder die sinnreiche Mutter" lassen sich die zwei Kinder einer Familie von den phantastischen Geschichten ihres Kindermädchens stark beeinflussen, was der Mutter zunächst missfällt. Da macht sich die Mutter selbst die Phantasiewelt zunutze und schlüpft in die Rolle der wohltätigen Fee, erzählt Monika Kiegler-Griensteidl, Herrin über eine halbe Million Bücher an der Nationalbibliothek.
Aus dem Dornröschenschlaf erweckt
Die Kinderliteratur reicht von einfachen, wohlfeilen Druckwerken bis hin zu schön ausgestatteten Bänden mit zum Teil enormem bibliophilen Wert. Österreichische Autoren wie Peter Rossegger, Adalbert Stifter, Marie von Ebner-Eschenbach und Charles Sealsfield haben für Kinder und Jugendliche geschrieben.
Die Kinderliteratur-Bestände an der Österreichischen Nationalbibliothek dämmerten jedoch im Dornröschenschlaf, bis sie in den 1970er Jahren von der privaten Forscherin Johanna Monschein zum wissenschaftlichen Leben erweckt wurden, erzählt Ernst Seibert, Germanist und Kinderbuchforscher.
Johanna Monschein, die übrigens beruflich als Spitzendiplomatin bis zur ersten österreichischen Botschafterin avancierte, ist vor zehn Jahren gestorben. Heute widmet sich eine eigene Gesellschaft unter Ernst Seiberts Leitung der historischen Kinderbuchforschung an der Universität Wien.
Das Mädchen mit den hübschen Kleidern
Kostbare Schätze an Form und Inhalt sind in der Sammlung wertvoller historischer Bücher an der österreichischen Nationalbibliothek zu heben. So wie die Geschichte der Isabelle, ein französisches Kinderbuch der Aufklärung, Neuankauf aus der Sammlung Nebehay.
Isabelle ist ein Mädchen aus einer reichen Kaufmannsfamilie, das von ihren Eltern dazu angehalten wird, Gutes zu tun. Allerdings braucht sie gar nicht viel Anleitung, weil sie der Meinung ist, man kann gleichzeitig Spaß haben und Gutes tun, weiß Solveigh Rumpf-Dorner, bibliophile Expertin in der Sammlung historischer Bücher:
"Außerdem ist dieses Buch sehr hübsch, nicht aufwändig illustriert, aber beigegeben ist eine Karton-Tafel mit einem kolorierten Kupferstich, der uns Isabelle zeigt. Sie ist ein Mädchen mit braunem Lockenkopf, das im Unterkleid da steht. Es sind sechs kleine Ausschneidekleider beigegeben, die kann mit Steckpfeilchen auf dem Kupferstich der Isabelle befestigen kann."
Im Reich der Fantasie
Die jahrhundertealten Kinderbücher laden ein, das imaginierte Universum der jüngsten Erdenbürger bis in die österreichische Gegenwartsliteratur zu untersuchen, meint Kinderbuchforscher Ernst Seibert: "Auch Thomas Bernhard hat eine Kindergeschichte geschrieben, 'Viktor Halbnarr. Ein Wintermärchen'. Es ist eine kleine Erzählung, die in den Band 'Dichter erzählen Kindern' aufgenommen wurde und ein typisch bernhardsches Gepräge hat."
Barbara Frischmuth, Friederike Mayröcker und Peter Handke sind andere österreichische Gegenwartsautoren, die auch für Kinder geschrieben haben.
Derzeit forscht die Gesellschaft für Kinderliteratur in einem großen Projekt über die österreichische Kinderliteratur zwischen 1900 bis 1950, ein Zeitraum, der historisch und geistesgeschichtlich große Spannungsfelder aufweist, von der Monarchie über die Erste Republik zur Zweiten Republik, mit zwei Weltkriegen, die natürlich auch in der Kinderliteratur Resonanz gefunden haben.
Hör-Tipp
Leporello, Dienstag, 3. Juli 2007, 7:52 Uhr
Link
Österreichische Nationalbibliothek - Kinderbücher-Sammlung