Kunstgefühl und Flitterstaate

Was trägt die Musik?

Die Hochkultur ist in ihren Regeln verunsichert. Ohne Krawatte in die Volksoper! Nur im Casino weiß man noch, wie man sich benehmen muss. Musik und Mode, beide sind dem Publikumsgeschmack unterworfen. Und was empfiehlt das Wiener Konzerthaus?

Einst waren die Kartenabreißer - sie waren in meiner Kindheit wirklich alle männlich in Österreich - auch Sittenwächter. Selbst kleine Buben ohne Krawatte wurden am Sonntagnachmittag aus der Volksoper zurückgeschickt.

Jetzt ist die Hochkultur in ihren Regeln verunsichert - nur im Casino weiß man noch, wie man sich benehmen muss.

Um der Hilflosigkeit vorzubeugen, vermerkt das Wiener Konzerthaus auf seiner Website Folgendes:

"Dem Gerechten keine Gesetze und dem Weisen keine Ratschläge." (Vincencio Juan de Lastanosa, 1653) Getreu diesem Motto gibt es für den Konzertbesuch keine Verhaltensregeln, die wesentlich über jenes Maß an höflichen Umgangsformen und gegenseitiger Rücksichtnahme hinausgehen, wie sie auch im Alltag gelten (sollten). Zu den wenigen situationsspezifischen Fragen möchten wir Ihnen im Folgenden einige Empfehlungen und Orientierungshilfen anbieten.

Zur Bekleidung im Konzert ist prinzipiell zu sagen: Ja. Darüber hinaus gehende Vorschriften zu Menge, Qualität und Eleganz der Ausstattung gibt es im Wiener Konzerthaus nicht, denn um eine Veranstaltung genießen zu können, sollte man sich auch in seiner zweiten Haut wohlfühlen. Allerdings: Wer einen Konzertbesuch auch hinsichtlich der Kleidung als besonderes Ereignis wahrnimmt, wird möglicherweise sich selbst wie auch den anderen Besuchern eine Freude bereiten.


Möglicherweise - aber klassische Konzerte waren noch nie Modeschauen, der Gang zwischen den Stühlen im Brahms-Saal wirklich kein Laufsteg. Gut, dass man sich im klassischen Konzert nicht sieht, sich nicht und einander nicht, nur im Kino bemerkt man einander weniger - weil es da noch dunkler ist. Klassische Musikhörende sind Modemuffel - fast alle.

Das ist die eine Seite der Konzertkleidung - die des Publikums, die andere ist die der Musiker - wer schaut da drauf, wenn nicht das Publikum? Joseph Haydn hatte noch in seinem Dienstvertrag bei Esterhazy die Pflicht, auf das Gewand seiner Musiker zu achten.

In seinem Vertrag von 1761, geschlossen mit Paul Anton Fürst zu Esterhazy, wird unter der Überschrift "Convention und Verhaltungs-Norma des Vice-Capel-Meisters" aufgetragen: Nicht nur, dass Haydn dafür sorgen musste, dass seine Musiker "nüchtern" erschienen, war er dazu verpflichtet, mit ihnen "nicht brutal, sondern mit glimpf und art bescheiden, ruhig, ehrlich" umzugehen, " hauptsächlich, wann von der hohen Herrschaft eine Musique gemacht wird, solle er Vice-Capel-Meister samt denen subordinierten allezeit in Uniform und nicht nur er Joseph Heyden selbst sauber erscheienen, sondern auch alle anderen von ihme dependirende dahin anhalten, dass sie der ihnen hinausgegebenen instruction zufolge, in weißen strümpfen, weißer Wäsche , eingepudert, und entweder in Zopf, oder Haar-Beutel, jedoch durchaus gleich sich sehen lassen."

Musik und Mode haben so viel miteinander zu tun: Sie sind beide dem Publikumsgeschmack unterworfen, Mozart überlegte lange, ob er eine ein paar Jahre alte Sinfonie dem Publikum nochmals vorsetzen konnte. Mozarts erster Biograf, Franz Xaxer Niemetschek bringt es auf den Punkt: "Das Neue hat einen starken Reiz; und darum gilt alte Musik und alte Mode einerley. Denn die wenigsten Menschen haben Kunstgefühl und Kenntnis genug, um ächte Schönheit vom Flitterstaate zu unterscheiden."

Und doch: ihre Kleidung bleibt eine Randnotiz in den großen Musikerbiografien: Haydn immer elegant, Beethoven nur in der Jugend modisch und attraktiv, Mozart sogar verschwenderisch in der Anschaffung von Gehröcken. Das Schwarz der Auftretenden war ein Affront - den Dienern war die bunte Farbe zugedacht, das Buntscheckige. Die Musiker am französischen Hof des 17. Jahrhunderts wählten sich die Ihnen vorenthaltene schwarze Farbe und legten damit eine Tradition der Schwarz-Tragenden.

Die Musikwissenschaft hat die Kleidung der Ausführenden noch nicht bemerkt, sie ist auch Musikkritikern bloß eine Fußnote wert. Am ehesten, wenn eine Interpretin schlecht angezogen ist. Wenn sie zu gut angezogen ist, tut das ihrer Presse-Präsenz gut, ihrer Kritik aber nicht. Wer schaut jetzt darauf, wenn Alfred Brendel in schweren Winterschuhen einen Klavierabend gibt, wenn der Rock zu eng, das Frackband falsch gebunden ist? Die Uniform erleichtert die Wahl; die Wiener Sängerknaben haben keine Bekleidungsprobleme.

Selten, dass einer abweicht vom Standard: Karajans Stehkragen, Wladimir Ashkenazys Rollkragen und HK Grubers schwarze lose getragenen Hemden sind sanfte Verstöße gegen die Macht der klassischen Etikette. Noch in den 60er Jahren war der neugewachsene Bart Zykans Stein des Kritikeranstoßes, einen Sturm der Entrüstung entfachte in den 70er Jahren Gulda, als er es wagte, mit Kapperl und Pullover, sakko- und krawattenlos aufzutreten, halbnackt gar, nackt jedoch nur im Fernsehen.

Dem Tabubuch des Outfits stand der Tabubruch der Präsentation entgegen: Gulda war einer der ersten, die im klassischen Konzertsaal sprachen, und das nicht nur, um die Encore anzusagen, sondern das ganze Konzert hindurch, zwischen der Musik, wie er es im Jazz gelernt hatte und so gekleidet, dass er vom Konzertsaal gleich wieder ins Jazz-Lokal verschwinden konnte.

Hör-Tipp
Moment - Leben heute zum Thema "Dresscode", Montag, 30. Juni 2008 bis Freitag, 4. Juli 2008, 17:09 Uhr

Link
Konzerthaus - Konzert-Etikette