Begnadeter Lyriker

Nikolaus Lenau

Nikolaus Lenau war einer, der eine andere Sprache sprach, der aber sehr wohl mit seinen Gedichten nachhaltig die Lyrik im deutschen Sprachraum beeinflusste, weit über das Ausmaß dessen hinaus, was man sich heute unter seinem Einfluss vorstellt.

"Briefkrüppel" Lenau

Nikolaus Lenaus Lebenslauf hat ihn nicht so sehr zum Außenseiter gestempelt wie die Wirkung seiner Werke, und vor allem die Rolle seiner Werke in der Zeit des Biedermeier in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts, wo er tatsächlich als einer der großen Außenseiter gelten kann.

Lenau ist ein Meister der Rhetorik. Manchmal sind die Bilder etwas überzogen auf der einen Seite, zum anderen aber ist er einer, der das Drastische hervorkehrt. Dadurch ist auch die Bildlichkeit seiner Lyrik - und vor allem seiner Balladen - außerordentlich instruktiv und hat sich sehr gut für das Lesebuch geeignet - was den Gedichten nicht immer zum Vorteil gereichte.

Verweigerung des Lebens

Das Gedicht, das am bekanntesten ist und heute auch in keiner Anthologie fehlt, ist sein Gedicht "Die drei Zigeuner". In diesem Gedicht trifft sich einerseits die Verzweiflung Lenaus am Leben in dieser Welt, unter diesen gesellschaftlichen Bedingungen, mit seinem Protest. Er verweigert die Teilnahme an diesem Leben oder zumindest meint er, das aus dem Verhalten dieser drei Zigeuner ablesen zu können.

Drei Zigeuner fand ich einmal
Liegen an einer Weide,
Als mein Fuhrwerk mit müder Qual,
Schlich durch sandige Heide.

Hielt der eine für sich allein,
In den Händen die Fiedel,
Spielte, umglüht von Abendschein,
Sich ein feuriges Liedl.

Hielt der Zweite die Pfeife im Mund,
Blickte von seinem Rauche
Froh, als ob er vom Erdenrund,
Nichts zum Glücke mehr brauche.

Und der Dritte behaglich Schlief,
Und sein Cimbal am Baum hing,
Über die Saiten der Windhauch lief,
Über sein Herz ein Traum ging.

An den Kleidern trugen die Drei
Löcher und bunte Flicken,
Aber sie boten trotzig frei
Spott den Erdengeschicken.

Dreifach haben sie mir gezeigt,
Wenn das Leben uns nachtet,
Wie man's verraucht, verschläft, vergeigt,
und es dreimal verachtet.

Nach den zigeunern lang noch schauen,
Musst' ich im Weiterfahren,
Nach den Gesichtern dunkelbraun,
Den schwarzlockigen Haaren.


"Dreimal verraucht, verschläft, vergeigt und dreimal verachtet." Das ist wohl eine sehr radikale Devise, und daran mag man erkennen, wie sich dieser Nikolaus Lenau zusehends in eine Außenseiterposition begeben hat.

Variante des "Faust"

Lenaus Werk wäre unvollständig charakterisiert, wollte man auf seine Versepen vergessen. Diese Versepen werden heute kaum gelesen, aber für eine Ideologiegeschichte des 19. Jahrhunderts sind sie unentbehrlich.

Zunächst einmal ist es sein Faust, der 1836 erschien, der ganz stark im Unterschied zu Goethe gestaltet sein sollte. Lenau hat sehr provokant bemerkt, dass Goethe kein Monopol auf den Stoff habe, der Faust-Stoff sei Gemeingut der Menschheit. Auch das Ende ist ein ganz anderes: Dieser Faust wird nicht erlöst, er ersticht sich am Ende, nachdem er die Einsicht hat, dass alles gleichgültig ist. Es gibt auch keinen Teufel mehr, es gibt auch keinen Gott mehr, es gibt keine Sünde, es gibt keine Schuld, es gibt nicht Gut und es gibt nicht Böse. Die ganze moralische Welt hat in diesem Text ihre Existenzberechtigung verloren.

Mit der Aufhebung der moralischen Kategorien verliert auch dieser Teufelspakt, den Faust auch bei Lenau geschlossen hat, seine moralische Gültigkeit. Es sind drastische Verse, mit denen sich dieser Faust von der Welt verabschiedet:

Du böser Geist heran, ich spotte dein!
Du Lügengeist ich lache unserm Bunde,
Denn nur der Schein geschlossen mit dem Schein, hörst du,
Wir sind getrennt von dieser Stunde.

Zu schwarz und bang,
Als dass ich wesenhaft,
Bin ich ein Traum,
Entflatternd deiner Haft.

Ich bin ein Traum,
Mit Lust und Schuld und Schmerz,
Und träume mir
das Messer in das Herz.

Bedeutung im Vormärz

Lenaus Werk kann als einer der großen Erfolge der Lyrik in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts angesehen werden. Allerdings muss man sagen, dass dieser Erfolg nicht von Dauer war. Man hat sehr bald erkannt, dass viele dieser Gedichte eben aufgrund ihrer überzogenen Rhetorik und ihrer drastischen Bildlichkeit nicht die Eleganz einer Lyrik etwa eines Eichendorffs hatten.

Auf der anderen Seite hat ein österreichischer Dichter sehr gut erkannt, welche Rolle und welche Bedeutung dieser Dichter, gerade im Bereich des Vormärz in Österreich, hatte, und das war Franz Grillparzer, der ihm einen schönen Epilog hält: "Und so sei Dir ein Lebewohl gesprochen, ob Tat und Wollen gleich noch so weit. Was Dich zerbrach hat Staaten schon zerbrochen. Dich hob, Dich trug und Dich verdarb die Zeit"

Hör-Tipp
Literarische Außenseiter, Sonntag, 8. Juli 2007, 9:30 Uhr

CD-Tipp
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