Porträt einer neuen Generation

Typisch Türkin

Sowohl in Österreich als auch in Deutschland löste die Debatte über die Integrationsunwilligkeit von Türkinnen und Türken der zweiten Generation Unmut aus. Mit ihrem Buch will die deutsche Journalistin Hilal Sezgin mit Vorurteilen aufräumen.

19 zum Teil sehr persönliche Interviews mit deutsch-türkischen Frauen im Alter zwischen 25 und 45 Jahren der zweiten Generation bilden die Grundlage von Hilal Sezgins Buch "Typisch Türkin". Der mittlerweile tief verankerten Distanz will die Autorin mit diesem Buch entgegenwirken und aufräumen mit vor allem geschlechtsspezifisch geprägten Stereotypen und Klischees, die man vor allem türkischen Frauen entgegenbringt.

Auch der Mythos Parallelgesellschaft wird von Hilal Sezgin kritisch unter die Lupe genommen. Sie versucht zu eruieren, ob es sich hierbei um einen polemischen Begriff oder einen wertneutralen Namen für ein empirisch belegtes Phänomen handelt. Der Begriff beschreibt die gewollte Abgrenzung zu westlichen Wertvorstellungen und den Rückzug in die eigene Community. Nach Meinung der Autorin bedeutet Parallelgesellschaft nicht die Gesellschaft der Türken in Deutschland, sondern nur eine zumeist patriarchale Form türkischen Lebens hier.

Die "Anderen"

Neu an der momentan wild entbrannten Migrationsdiskussion ist die Frage nach der Religion. Oder sollte man eher sagen nach der richtigen Religion? Konstruiert wird hier ein Bild des "Anderen", verbunden mit vielen Vorurteilen und Klischees. Der aktuelle öffentliche Diskurs der deutsch-türkischen Generation ist vorwiegend geprägt von einer sehr einseitigen und polarisierenden Darstellung.

"Es gibt gegenüber Türken und dem Islam - das wird ja zunehmend miteinander in Eins gesetzt - eine Unwissenheit, die ist nicht mehr natürlich. Das ist schon Ablehnung. Und das begegnet einem jeden Tag. Wenn ich auf die Straße gehe, gibt allein mein Aussehen den Menschen ein Gefühl, dass sie mit mir auf eine Weise umgehen dürfen, wie sie es untereinander nicht akzeptieren würden. Wenn ich das einfach ignorieren könnte, wäre es sicher einfacher, aber Ignorieren, also Augen zu und durch, das ist mir in dem Fall einfach nicht gegeben."

Die Worte von Nimet, einer jungen Frau, die in Deutschland lebt und einige Jahre in den USA studiert hat.

Aus der Sicht der Frauen

Die Autorin Hilal Sezgin möchte mit dem Buch "Typisch Türkin" ein differenziertes Bild der zweiten deutsch-türkischen Generation liefern. Ein zentrales Anliegen war ihr, die weibliche Seite und die weibliche Sicht der Dinge darzustellen. Erzählungen von Frauen, die es geschafft haben, die Unterschiede zwischen traditioneller und moderner Gesellschaft zu vereinen, nehmen einen wichtigen Stellenwert in dem Buch ein.

Vor allem das Kopftuch ist im öffentlichen Diskurs zum Sündenbock erkoren und stellt mittlerweile ein signifikantes Indiz für eine nicht gelungene Integration dar. Hilal Sezgin räumt mit dem Vorurteil auf, dass türkische Frauen nicht in der Lage seien, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. In der Türkei existieren große Klassenunterschiede und wie bekannt ist, erließ der fortschrittliche türkische Reformer Mustafa Kemal Atatürk ein generelles Kopftuchverbot in und vor den Bildungseinrichtungen der Türkei. Bis heute dürfen nach türkischem Recht Frauen mit Kopftuch keine Schulen, Universitäten und andere öffentliche Gebäude betreten. Emanzipation ist also hier nicht neu. Sehr wohl gibt es aber auch die andere Seite wie im traditionell ländlichen Bereich Anatoliens.

Nicht nur Opfer

Die Diskussion um die Emanzipation der Frau im Islam ist zweifellos von großer Wichtigkeit, nur sollte nicht der Fehler begangen werden, eine Gesellschaft zu moralisieren und die Diskussion aus einem rein westlichen Blickwinkel zu führen. Die Frauen nur als Opfer patriarchaler Unterdrückung darzustellen empfindet Hilal Sezgin als problematisch.

An dieser Stelle aber sei angemerkt, dass es sich bei den für das Buch befragten Frauen fast ausschließlich um Akademikerinnen handelt. Aber was ist mit denjenigen, die es nicht geschafft haben? Diesem wichtigen Aspekt einer sozialkritischen gesellschaftlichen Auseinandersetzung geht die Autorin nicht nach. Vielleicht ist gerade das die Botschaft, die Hilal Sezgin ihrem Publikum vermitteln will, indem sie gezielt das konträre Gegenbeispiel aufzeigt, also jenes Bild von selbstbewussten und gebildeten Frauen, die, wenn sie das Kopftuch tragen, es als Ausdruck ihrer muslimischen Identität selbstbestimmt tun.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Hilal Sezgin, "Typisch Türkin. Porträt einer neuen Generation", Herder Verlag, 2006, ISBN 978-3451288753