Mehr Sex als Crime

Rache an Johnny Fry

In Walter Mosleys, nicht wirklich als klassischen Kriminalroman zu bezeichnenden Werk steht eindeutig Sex an erster Stelle. Die Hauptperson überrascht seine Wochenendaffäre mit einem anderen - Johnny Fry - im Bett und hat nur mehr Rache im Kopf.

Walter Mosley sei sein Lieblingsschriftsteller, hat der US-amerikanische Expräsident Bill Clinton schon vor Jahren bekannt. Das muss nicht unbedingt ein Gütesiegel sein, zeugt aber zumindest von einer gewissen Belesenheit des Herrn Clinton.

International bekannt geworden ist der in Los Angeles aufgewachsene und heute in New York City lebende Afroamerikaner Walter Mosley mit seinen pfiffig-sarkastischen Krimis rund um "private eye" Easy Rawlins, einen schwarzen Privatdetektiv in L. A. Zehn Stück gibt es inzwischen davon, die meisten sind auch ins Deutsche übersetzt worden und tragen Titel wie "Teufel in Blau", "Roter Tod" oder "Black Betty".

Tote spielen nur Nebenrollen

"Rache an Johnny Fry" - im Original als "Killing Johnny Fry" ebenfalls gerade erst in den USA erschienen - klingt fürs Erste ebenfalls nach einem Fall für Easy Rawlins, ist es aber nicht. Das Buch weist auch nicht die Genrebezeichnung Kriminalroman sondern nur Roman auf. Tote gibt's zwar auch in diesem Schmöker, sie spielen aber nur Nebenrollen. Tatsächlich geht es hier um Sex pur.

Aber schön langsam: Der Roman spielt in New York, der Held ist ein mittelmäßig erfolgreicher Übersetzer in den so genannten "mittleren Jahren". Er lebt seit längerem in einer zur Routine gewordenen Wochenendbeziehung mit einer Marketingberaterin für Mode- und Designfirmen. Als er eines Tages plötzlich und unerwartet in deren Appartement auftaucht, ertappt er sie bei heißen Liebesspielen mit einem jüngeren weißen Schönling. Von beiden unbemerkt schleicht er sich davon, ihn aber hat regelrecht der Blitz getroffen

Sexuelle Obsession

Und was in den kommenden zwölf Tagen - das ist die Zeitspanne dieses Romans - geschieht, das ist im wahrsten Sinne des Wortes Atem und Kräfte raubend. Der Begriff "sexuelle Obsession" ist eine höfliche Untertreibung für dieses pathologisch ausgeprägte und ausgelebte sexuelle Verhalten. Alle denkbaren Variationen kommen hier vor, inklusive der Pornoindustrie und der zu einer Sex-Olympiade in einem Brooklyner Lagerhaus angetretenen Swinger-Club-Szene.

Walter Mosleys "Rache an Johnny Fry" lässt sich als klinische Fallstudie einer Sexsucht vulgo Satyriasis im vorliegenden, maskulinen Exempel lesen. Ob die mitwirkenden Frauen der Nymphomanie zu zeihen sind, bleibe dahingestellt, selbst wenn der Verdacht nicht immer von der Hand oder von anderen Körperteilen zu weisen ist.

Doch ein Kriminalroman?

Man kann das Buch aber auch als Umkehrung der berühmten Who-dun-it-Literatur, also der klassischen Kriminalromane, lesen. Im Sinne eines "I-will-do-it" - nämlich den Nebenbuhler Johnny Fry umlegen - und "warum ich es dann doch nicht getan haben werde".

Enttäuscht wird man bei keiner der beiden Lesarten, denn der Schriftsteller Mosley ist nicht nur ein herausragender Krimischreiber, sondern auch ein Meister im Fache der psychologischen Raffinesse. Solide, schnörkellos, in einer knappen und klaren Sprache wird fernab jeder Pose das Wesentliche verhandelt. Während Sex in der Literatur des deutschen Sprachraums entweder als peinliche Introspektion oder als verkrampfter Voyeurismus daherkommt, ist er bei Mosley - auch in seiner heftigen und hochfrequenten Ausprägung - letztlich immer noch die natürlichste Sache der Welt. Ein Zusammenspiel von Anatomie, Mechanik und Psychologie.

Eines darf noch verraten werden: Der Held überlebt seinen zwölftägigen Parforceritt, auch wenn er nicht mehr der Jüngste sein mag. Und dass der Roman "Rache für Johnny Fry" nicht mit dem Etikett "Jugendfrei" versehen werden soll, versteht sich inzwischen wohl von selbst.

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Buch-Tipp
Walter Mosley, "Rache an Johnny Fry", aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Michael Zauner, Verlag Bloomsbury, 2007, ISBN 978-3827006905

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Bloomsbury Verlag Berlin