Über das Spielen hinaus
Ich bin ein Tetris
Während darüber diskutiert wird, ob Computerspiele die Jugend aggressiv machen oder verdummen, gelten sie vereinzelt bereits als förderbare Kunst. Teil der Kultur sind sie auf jeden Fall längst geworden - und sie regen zu neuen Projekten an.
8. April 2017, 21:58
Vor zehn oder fünfzehn Jahren gab es eine Zeit, da hat es in der U-Bahn oder im Zug ständig gedüdelt und gepiepst. Kind mit Gameboy an Bord, stellte man dann seufzend fest. Eine Gruppe groß gewordener Kinder aus Wien hat sich vor fünf Jahren gedacht, dass man dieses Gepiepse kreativ nützen könnte und macht seither damit Musik.
Gameboy-Musik ist nur eine von zahllosen Möglichkeiten, Computerspiele als Ausgangsmaterial oder Anregung für kreative Äußerungen zu nützen. Das reicht von T-Shirts mit Zitaten aus einem Spiel bis zu Filmen, die mit Spielsequenzen gestaltet werden. Der Multimedia-Experte Aldo Tolino beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dieser Kultur und analysiert sie nun im Rahmen seiner Dissertation am Institut für Kommunikations- und Wissenstransfer der Universität für Angewandte Kunst in Wien.
Ihm geht es darum, die Vielfalt der entstehenden Kulturproduktionen zu erfassen und die Motivation von Menschen zu analysieren, die sich über das Spielen hinaus mit Computerspielen beschäftigen.
Spielen als "dritter Ort"
Was für die Einen der Kegelclub, der Fußballplatz oder das Wirtshaus ist, ist für die Anderen das Computerspiel - ein so genannter "3rd place", also ein dritter Ort nach Arbeit und Zuhause. Menschen, die mit Begeisterung Computerspiele spielen, beschäftigen sich meist auch darüber hinaus mit diesem Medium. Sie lesen Informationen über neue Spiele, besuchen Spiele-Festivals, sind Mitglied in Online-Communities und tragen T-Shirts mit Motiven aus einem Spiel. Es ist also nahe liegend, dass sie auch kreative Ideen entwickeln, die mit den Themen und Motiven von Computerspielen zu tun haben.
Teilweise muten diese Ideen recht skurril an. So findet man auf der Internet-Plattform YouTube zum Beispiel eine Reihe von Videos, in denen jemand die Melodie des Computerspiels Super Mario auf dem Klavier, dem Schlagzeug, der Gitarre oder mit einem Lineal nachspielt. Man findet aber auch Videos von Menschen, die als Tetris-Würfel oder "Pac Man" verkleidet auf der Straße herumlaufen und sich so verhalten, als wären sie Teil des Computerspiels.
Vom Konsumenten zum Produzenten
Das interessante an der Kultur rund um Computerspiele sei, so Aldo Tolino, dass durch die Möglichkeiten, die Video, Audio und Internet-Plattformen bieten, die Computerspieler von reinen Konsumenten zu Produzenten werden können. Bei manchen Kulturproduktionen geschieht das sogar hochprofessionell. So produzierte eine kleine Gruppe von US-Amerikanern zum Beispiel eine satirische Videoserie über einen professionellen Gamer, die gratis im Internet verfügbar ist.
Der so genannte "Gerry's Mod" - eine Modifikationsmöglichkeit für das Spiel "Half-Life" regte Christopher Livingston dazu an, das Spiel als Sandkasten für ein Comic zu nützen. Dafür werden Szenen und Figuren nach Wunsch verändert, davon Screenshots gemacht und mit Sprechblasen versehen.
Herausgekommen ist das Comic "Concerned. The half-life and death of Gordon Frohman". Gordon Frohman lebt in der Welt des Computerspiels Half-Life und macht dort alles falsch. Er ist der Antiheld zum Helden des Computerspiels, Gordon Freeman.
Für Aldo Tolino ist das Half-Life-Comic eines der herausragendsten Beispiele für Kulturproduktionen, die durch die Welt der Computerspiele angeregt werden, denn Christopher Livingston beherrscht nicht nur das Programm, sondern auch die Erzählung der Geschichte mit ironischen Zitaten auf das Computerspiel.
Hör-Tipp
Matrix, Sonntag, 22. Juli 2007, 22:30 Uhr
Links
Aldo Tolino
Gameboy Music Club
Concerned
Pure Pwnage (Video-Serie über Pro Gamer)
YouTube - Super Mario am Klavier
YouTube - Real Life Tetris