Zwischen Realität und Fiktion
Werner Kofler zum 60. Geburtstag
Vielen seiner Bewunderer gilt Werner Kofler als einer der virtuosesten Prosaautoren Österreichs und das nicht erst, seit Thomas Bernhard tot ist. Eine Würdigung von Klaus Amann.
8. April 2017, 21:58
Die griffigsten und eingängigsten Formulierungen für seine Art des Schreibens stammen von Kofler selber: "Irrsinnskunststücke" und "Racheakte" hat er seine Texte genannt, seine Literatur sei "Kunst der Verschwörung", "hohe Schule der Anspielung", "Geheimschrift" oder auch schlicht "Beschimpfungskunst", ihr Verfasser ein "Meister der üblen Nachrede", ein "Wirklichkeitszerstörer" und vor allem, ein "Meister der Verwandlung".
"Erstunken und erlogen"
Koflers resignativ-pathetische Definition, Literatur sei "Verbrechensbekämpfung", wird so gern zitiert wie das Motto zu "Guggile", seinem ersten großen Bucherfolg aus dem Jahr 1975: Es lautet: "alle personen, orte und begebenheiten sind wahrheitsgemäß 'erstunken und erlogen'". Und auch die folgende Stelle aus "Am Schreibtisch", dem ersten Band seiner Trilogie, hat Karriere gemacht:
Kunst muss die Wirklichkeit zerstören, so ist es, die Wirklichkeit zerstören statt sich ihr unterwerfen (...). Aber das Entsetzliche, müssen Sie wissen, das Entsetzliche ist: Die Wirklichkeit macht ungeniert weiter, die Wirklichkeit schert sich keinen Deut um die Zerstörung, die ihr in der Kunst zugefügt wird, die Wirklichkeit ist schamlos, schamlos und unverbesserlich.
Entrüstung über die Zustände
Die in Koflers Texten zweifellos vorhandene Angriffslust ist der literarische Ausdruck seiner Entrüstung über die herrschenden Zustände. Mit den Worten von Paul Jandl: "Es drohen die Verhältnisse und der Autor droht zurück".
In "Hotel Mordschein", dem zweiten Band der Trilogie heißt es: "(...) die Wirklichkeit ist immer schon eine üble Sache gewesen". Diese üble Sache, genannt Wirklichkeit, ist offenbar nur mit Satire und Sarkasmus auf Distanz zu halten. Koflers Satire aber bleibt, im Unterschied zum Humor, "unversöhnt". Und wie zur Bestätigung dieses Prinzips präzisiert der Koflersche Erzähler in "Der Hirt auf dem Felsen", dem dritten Band der Trilogie: "(...) in punkto Humor verstehe ich keinen Spaß (...)". Das heißt, Koflers Sprachwitz und sein Humor verweigern sich aufs Entschiedenste der herrschenden Spaßkultur. Mit anderen Worten: Kofler lässt, zum gesteigerten Vergnügen der Leser, nicht unter seinem Niveau lachen. Das dafür aber oft.
Allgemein gültige Themen
Von "Guggile", seiner grandiosen Erzählung über das Aufwachsen und Erzogenwerden in der österreichischen Provinz der 1950er Jahre bis zu seinem bislang letzten Text "Kalte Herberge", einer berührenden Momentaufnahme, die den Blick freigibt auf ein ganzes Schriftstellerleben, verbindet eine Besonderheit die mehr als 20 Bücher Koflers. Es ist dies die charakteristische Spannung zwischen den allgemein gültigen Themen, die sie aufgreifen und den regional begrenzten Anlässen und ihren provinziellen Schauplätzen und Akteuren.
Ähnliches gilt für die ästhetischen Bezüge seiner Literatur, die in ihren Referenzen, in Anspielungen, Zitaten und Paraphrasen alles Provinzlerische meidet und mit weltliterarischen Schreibweisen und Traditionen von Kleist und Kafka über Beckett bis Thomas Bernhard gleichsam auf Du und Du ist.
Immer regionale Bezüge
Seit Jahrzehnten kreisen Koflers Bücher in immer neuen Anläufen um einige wenige große Themen, die trotz aller regionalen Bezüge alles andere als provinziell oder exotisch sind. Wenn man die allgegenwärtige Thematisierung des eigenen Schreibens und der eigenen prekären Existenz als Schriftsteller beiseite lässt, sind es im Wesentlichen drei Bereiche, die leitmotivisch nahezu sein gesamtes Werk bestimmen:
Erstens: Die Kritik an der Zerstörung unserer natürlichen Umwelt durch Verkehr, Tourismus, Gewinnsucht und Unverstand. Politik erscheint nicht nur in diesen Zusammenhängen als personifizierte Schamlosigkeit und oft auch als ein Spezialfall des organisierten Verbrechens.
Zweitens: Die Kritik an einer verlogenen, oft auch politisch instrumentalisierten "Erinnerungspolitik". Koflers sarkastische Darstellungen der verdrängten Nazivergangenheit, insbesondere in ihrer österreichischen und der verschärften Kärntner Variante, gehören zum Besten und Eindrucksvollsten, was von Autoren seiner Generation geschrieben wurde. Damit meine ich so großartige Texte aus seiner Trilogie wie: "Mutmaßungen über die Königin der Nacht" oder "Im Museum". Vor allem aber auch sein 2001 am Stadttheater Klagenfurt uraufgeführtes "Sprechstück mit Musik" "Tanzcafé Treblinka", das Stück über das angebliche Nichtgewussthaben und das tatsächliche Nichtwissenwollen.
Drittens: Die Kritik an den Medien, namentlich an der Boulevardpresse und an ihrer Inszenierung des "öffentlichen Privatlebens" und der "globalen Intimsphäre", beides Formulierungen Koflers. Damit verbunden ist seine Kritik am Kulturbetrieb, am Starkult und dem verbreiteten Bedürfnis nach Führergestalten und "Erlösern". Manche unserer Tagesgrößen werden wohl nur in seinen Texten überdauern.
Irr-witzige sprachliche Erkundungen
In Koflers Büchern erscheinen diese Themen meist nicht als realistische "plots" oder als romanhafte Handlungszusammenhänge, sondern im wortwörtlichen Sinn als oft irr-witzige sprachliche Erkundungen und Expeditionen im Schreibtischgebiet; gründlich recherchiert, mit Daten und Fakten belegt, mit Namen und Anschriften versehen, literarisch verfremdet und kunstvoll zugespitzt.
So sind Koflers Bücher literarisch kühne, zuweilen auch raffiniert-infame Fortschreibungen dessen, was war, was ist, oder was sein könnte. Das Material dafür wächst ihm aus allen möglichen und unmöglichen Quellen zu: aus historischen Dokumenten und wissenschaftlichen Publikationen ebenso wie aus Texten von Kollegen und Kolleginnen, privaten Fotoalben oder den Klatschspalten der "Kronenzeitung". Doch erst die so virtuose wie radikale Bearbeitung macht aus dem penibel Recherchierten, aus dem historisch oder biografisch Zufälligen, Literatur.
Aufhebung der gewohnten Maßstäbe
Es ist dies ein ästhetisches Programm, das die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, die Grenze zwischen Literatur und Leben, ganz bewusst zum Verschwimmen bringt und das seine oft anarchische Wirkung nicht zuletzt aus der Aufhebung der gewohnten Maßstäbe und Wahrnehmungsweisen bezieht. Wie bei Karl Kraus sind auch bei Kofler oft "die grellsten Erfindungen (...) Zitate". Im Unterschied zu Kraus sind bei Kofler jedoch zuweilen auch die Zitate Erfindungen. Aus diesem raffinierten Spiel mit Authentizität und Erfindung, mit Zeichen und Bedeutung, wie er es nennt, bezieht seine Prosa viel von ihrer Kraft und ihrer Eigenart.
Solcher literarischer Raffinesse und dem künstlerischen Ingenium Werner Koflers, der am 23. Juli 2007 seinen 60. Geburtstag feiert, verdankt die österreichische Literatur einiges vom Besten, was in den letzten Jahrzehnten geschrieben wurde.
Text: Klaus Amann
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Ex libris, Sonntag, 22. Juli 2007, 18:15 Uhr