Umdenken ist erforderlich

Schöpferisch altern

Der Soziologe und Sozialphilosoph Leopold Rosenmayr ist einer der renommiertesten Wissenschaftler Österreichs. In sein neues Buch sind die Ergebnisse lebenslanger Forschung, aber auch eigene Erfahrungen mit dem Älter- und Altwerden eingeflossen.

Leopold Rosenmayr ist einer der renommiertesten Sozialwissenschafter und Alternsforscher. Und er verfügt über eine umfassende humanistische Bildung, wie sie in jüngeren Generationen wohl selten zu finden ist. Dies zeigt sich auch in seinem neuen Buch sehr deutlich: Rosenmayr zitiert Philosophen der Antike und verweist auf die moderne Genforschung ebenso selbstverständlich wie auf die heutige Weltliteratur oder neueste Erkenntnisse der Primatenforschung. Das macht sein jüngstes Buch nicht gerade einfach zu lesen.

Von wegen "wohlverdienter Ruhestand"

Rosenmayr scheut sich nicht, gesellschaftspolitisch heiße Eisen anzugreifen, wie die verbreitete Mentalität des "wohlverdienten Ruhestandes" kritisch in Frage zu stellen und darauf hinzuweisen, dass auf Grund der Veränderung der Lebensphasen künftig die Ausdehnung des Arbeitslebens unabdingbar sein werde. Dabei liegt es ihm völlig fern, den Sozialstaat in Frage zu stellen - sein Plädoyer ist das für eine geänderte Einstellung zu einer alternden Gesellschaft. Die Gesellschaft müsste zu einer "age irrelevant society" oder "age neutral society" werden, zur altersneutralen Gesellschaft also. Eine neue Sozialcharta des Lebenslaufs müsse entworfen werden.

Je mehr im Alter der Lebensgenuss als "wohlverdienter Ruhestand" in den Vordergrund geschoben und dort als fixe Erwartung "einzementiert" wurde, desto weniger kam eine neue "Sozialcharta des Lebenslaufs" in Betracht. Koste es was es wolle, jede Änderung wurde im Namen des Sozialstaats blockiert, die Zukunft blieb überhaupt auf der Strecke. Der Sozialstaat ist eine notwendige Einrichtung, die vielerlei Stützung verdient und ermöglicht. Aber er darf nicht blockieren. Auch er muss sich den gesellschaftlichen Veränderungen anpassen. Es geht daher um eine Neukonzeption, eine neue Philosophie sozialen Lebens. Ein Umdenken hinsichtlich des Lebenslaufs ist geboten. Auf die zunehmende Langlebigkeit war die kulturelle Gestaltungsfähigkeit des Menschen bisher nicht im Stande, entsprechend zu antworten.

Neuer Anlauf zum Leben

Umdenken sei auch vom Einzelnen gefordert, denn die Mehrheit der Älteren gehört laut Rosenmayr dem eher passiven traditionalistischen Typus an, der im erwähnten "wohlverdienten Ruhestand" täglich drei bis vier Stunden vor dem Fernseher verbringe, und ansonsten außer familiärer Kontaktpflege, anspruchslosem Spazierengehen, Tierhaltung und gelegentlich auch Gartenpflege nicht viel tue.

Verändern kann man sich am besten, wenn man geachtet und beachtet wird, sagt Leopold Rosenmayr. Im Alter sollte man daher einen neuen Anlauf zur Liebe machen - zu sich selbst und zu anderen. Aus den Naturwissenschaften wisse man heute, wie eng Emotionen und Entwicklungschancen miteinander verbunden seien, so Rosenmayr. Die epigenetische Ausstattung sei stark durch Verhalten beeinflussbar. Und er bringt das hübsche Beispiel von der Fellpflege:

"Ich habe immer wieder in meinen Jahren in Afrika große Kolonien, vor allem von Schimpansen, beobachten können", erzählt Rosenmayr. "Die verbringen mehr als die Hälfte des Tages mit Fellpflege. Und jetzt wissen wir, dass die Zärtlichkeit, dass die körperliche Berührung eine ganz große Rolle für die Entfaltungsmöglichkeit und für die Bestätigung des Menschen erbringt."

Raus aus der Einsamkeit

Gewiss wird es im Alter schwieriger, Kontakte zu finden oder zu halten. Wenn man selbst über 80 ist, sind viele der Freunde von früher einfach nicht mehr da, sagt Rosenmayr. Aber man könne auch selbst etwas dazu beitragen, nicht in Einsamkeit und Depression zu verfallen. Um aus der Einsamkeit rauszukommen müsse man "ein bisschen seine Standards reduzieren. Und weiter: "Es gibt wunderbare lang dauernde Ehen, die 50 Jahre und länger dauern, aber es gibt auch solche Beziehungen, die dann erkaltet und tot nebeneinander laufen. Und da ist es wohl an der Zeit, dass die Menschen zu begreifen beginnen, dass sie unter Umständen auch das Zusammenleben ändern müssen, um selbst sozusagen mehr Fellpflege zu bekommen oder etwas Fellpflege zu geben."

Vieles, was Rosenmayr schreibt, trifft nicht nur auf alte Menschen zu. "Schöpferisch Altern" beinhaltet wesentliche Philosophien des Lebens, aus denen jeder für sich schöpfen kann. Gewidmet ist dieses Buch all denen, die ihr Leben ändern - ändern müssen - und dafür ihren Mut und ihre Kraft einzusetzen haben.

Hör-Tipps
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Diagonal, Samstag, 21. Juli 2007, 17:05 Uhr

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Buch-Tipp
Leopold Rosenmayr, "Schöpferisch altern. Eine Philosophie des Lebens", LIT Verlag, ISBN 978-3825892593

Link
LIT Verlag - Schöpferisch altern