Schreiben in und gegen die DDR
Brigitte Reimann
Brigitte Reimann gehörte dazu und sie gehörte in einem gewissen Sinne auch nicht dazu, nämlich zur Literatur der DDR. Sie war immer wieder widerständig und wollte doch ihrem Land, der DDR, dienen und damit auch dem Literaturkonzept, das dieses Land vertrat.
8. April 2017, 21:58
"Franziska Linkerhand" ist Brigitte Reimanns Hauptwerk.
Wenn man die frühen Erzählungen der DDR-Autorin Brigitte Reimann liest, hat man den Eindruck, hier hätte jemand geschrieben ganz im Sinne der Ästhetik, die von oben herab den Autoren verordnet wurde. Doch die Tagebuchaufzeichnungen, die Briefe Brigitte Reimanns zeigen ein völlig anderes Bild: Hier schreibt eine an gegen zahlreiche Schwierigkeiten, die ihr offenkundig von den Literaturgewaltigen bereitet wurden.
Mit einem inneren Zensor ausgestatt
Klar ist, dass in diesen Ländern (des Ostblocks, Anm.) die meisten Autoren einen inneren Zensor hatten, das heißt sie haben sich selbst beim Schreiben beobachtet und wollten nicht haben, dass der Text dann von einem anderen Zensor irgendwie weggestrichen würde. So schreibt Brigitte Reimann am 21. November 1964 in ihr Tagebuch:
Die Autoren denken nichts zu Ende. Ich möchte lernen, unabhängig zu sein und mich auszudrücken, den verdammten inneren Zensor, den man uns so geschickt eingebaut hat, Rücksichten um der Sache willen auszurotten.
Diese Stelle zeigt sehr schön die innere Zerrissenheit der Brigitte Reimann und nur wenn man diese Zerrissenheit versteht, wird man auch verstehen, warum der Roman "Franziska Linkerhand" ein Buch ist, das sich nicht eindeutig auf eine moralische Formel reduzieren lässt.
Entsetzliche Alltäglichkeit
Der Roman "Franziska Linkerhand" blieb Fragment. Er erschien erst 1974 nach dem Tod der Autorin. Die Auseinandersetzung mit diesem Text ist im Vergleich zu Christa Wolf vergleichsweise bescheiden, und das ist schade. Man könnte sich vorstellen, dass gerade durch dieses Buch auch ein anderes Bild der DDR sich nun - fast 20 Jahre nach ihrem Fall - in unseren Köpfen festsetzen könnte. Die stofflichen Voraussetzungen des Romans sind relativ einfach, der Verlauf stand der Reimann bald vor Augen:
Da kommt ein Mädchen, jung, begabt, voller leidenschaftlicher Pläne in die Baukastenstadt und träumt von Palästen aus Glas und Stahl und dann muss sie Bauelemente zählen, sich mit tausend Leuten herumschlagen, und die Heldentaten bestehen darin, dass man um ein paar Zentimeter Fensterbreite kämpft und alles ist so entsetzlich alltäglich. Wo bleiben die großen Entwürfe der Jugend? Schließlich hört man auf zu bocken und macht mit. Eine traurige Geschichte und sie passiert jeden Tag. Ich kann das Wort "enthusiastisch" schon nicht mehr hören, manchmal geht sogar mir der Treibstoff aus und ich möchte aufhören, mich dauernd zu streiten mit Leuten, die ja doch nie einen Fehler machen, nie sich irren und dich behandeln wie Hohepriester einen Laienbruder. Sie sagen "Perspektive" und ich sage "Heute".
Erzählung ohne Pathos
Was "Franziska Linkerhand" zu so einem wichtigen Buch machte, liegt meines Erachtens darin, dass die gesellschaftliche Problematik dieses Buches sich in der Erzählstruktur ohne jegliches Pathos gespiegelt findet. Die Problematik dieser jungen Frau, die mit 25 Jahren auf den Bauplatz kommt, liegt auch darin, dass sie in sich die alten und die neuen gesellschaftlichen Gegensätze auszutragen hat.
Der Lebenslauf dieser "Franziska Linkerhand" ähnelt in vielem dem der Brigitte Reimann. Ähnlich wie Franziska Linkerhand eine Stadt architektonisch neu organisieren möchte, so möchte wohl auch Brigitte Reimann die Literatur ihres Landes neu organisieren und sie sieht sich natürlich hier zahlreichen Schwierigkeiten ausgesetzt. Diese Schwierigkeiten bestimmen denn auch die innere und thematische Struktur des Romans.
Nachruf von Christa Wolf
Die Kontroverse zwischen Christa Wolf und Brigitte Reimann ist in der Öffentlichkeit wohl nie ausgetragen worden, im Gegenteil, die beiden waren Freundinnen, auf der anderen Seite haben wir hier zwei Möglichkeiten des Schreibens in der DDR vor uns, zwei Möglichkeiten, die auch den Möglichkeiten angemessen waren, die die Schriftsteller damals hatten.
Christa Wolf war es auch, die ihrer Freundin einen bewegenden Nachruf hielt und die im Jahr 2003 die Leistung ihrer Freundin zusammenfasste.
Der Nachruhm von Brigitte Reimann ist verständlich. Die Subjektivität ihrer Bücher spricht die Leser direkt an. Die komplizierten Liebesgeschichten, die sie beschreibt oder selbst erlebt hat, treffen die Gefühle oder zumindest die Sehnsüchte der Leserinnen, die sich ermutigt fühlen durch die Kühnheit, mit der diese Autorin sich ihnen öffnet. Der Stoff, den die Reimann ergreift und von dem sie ergriffen ist, mag Jüngere befremden - wer schreibt heute noch einen Roman aus der Produktion? Brigitte Reimann beweist, welch großes Potenzial für Literatur, für zeitüberdauernde Konflikte in einem solchen Stoff steckt, wenn man ihn als bedeutendes Betätigungs- und Bewährungsfeld von Menschen sieht. Die Arbeit an diesem Buch "Franziska Linkerhand" hat Brigitte Reimann nicht aus der Hand gelegt, solange sie noch einen Stift halten konnte. Sie war besessen vom Schreiben, es war ihr Lebensmittelpunkt und sie verspricht sich selbst: Im nächsten Heft werde ich vom Glück erzählen.
Hör-Tipp
Literarische Außenseiter, Sonntag, 29. Juli 2007, 9:30 Uhr
CD-Tipp
"Literarische Außenseiter", porträtiert von Wendelin Schmidt-Dengler, ORF-CD 2009633, erhältlich im ORF-Shop,
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