Wie funktioniert die Konsumkultur?

Habenwollen

In "Habenwollen" denkt Wolfgang Ullrich über zentrale Fragen des Konsummechanismus nach: Was bedeuten uns Konsumgüter und warum wollen wir so viele besitzen? Wie verändert sich ihr Image und unsere Beziehung zu ihnen im Lauf der Zeit?

Wolfgang Ullrich versucht in seinem Buch in knappen Zügen Einblick zu geben in Entwicklung, Ästhetik, Grundlagen und Dimensionen der Konsumkultur - so die vier Kapitel seines Buches. Auch wenn er dabei prominente Positionen der Kultur- und Konsumkritik referiert - von Günther Anders bis Norbert Bolz, von Vance Packard bis Richard Sennet -, so geht es ihm doch um die Darstellung einer eigenen, nicht vom Virus eines Kulturpessimismus infizierten Einschätzung.

"Für viele Menschen ist der Konsum fast der einzige Bereich, wo sie überhaupt so etwas wie Kreativität an den Tag legen bzw. legen können", so Wolfgang Ullrich im Gespräch mit Wolfgang Seibel. "Von daher finde ich es etwas zynisch und einseitig, wenn man den Konsum nur als etwas Banales und Dummes, etwas Oberflächliches oder Dekadentes beschreiben würde."

Marketing mit Assoziationen

Wolfgang Ullrich untersucht den Wandel der Warenwelt, die Veränderung der Produkte, ihres Designs, aber auch ihres Marketings. Mögen die Unterschiede in punkto Funktionalität und Ausstattung nicht immer groß sein, in punkto Aussehen und Reklame sind sie oft gewaltig. Da werden Assoziationen geweckt, die mit ihrem eigentlichen Verwendungszweck nichts mehr zu tun haben: Jungfräulich sollen die Dinge erscheinen, komfortabel, potent und zukunftsweisend.

"Maximale Kraft und hohen Komfort" verspricht zum Beispiel die Werbeanzeige für einen Stabmixer, der "Multiquick professional" heißt. Ullrich spricht von der "Psychologisierung unserer Dingwelt", er diagnostiziert eine "erhebliche Animationskraft" der Produkte, spricht von ihrem "emotionalen Mehrwert", ihrem "symbolischen Aufgeladensein", ihrem "Fiktionswertversprechen".

Konsum ist Bildung

Der Konsumbürger hat den Bildungsbürger abgelöst, glaubt Wolfgang Ullrich. Nicht, weil Bildung "out" und Konsum "in" sei, im Gegenteil, Konsum sei Bildung: die Verfeinerung des Geschmacks, die Erweiterung der Persönlichkeit, der Gewinn neuer Optionen. Der Gang in das Kaufhaus sei wie der Besuch des Theaters: der Eintritt in eine virtuelle Welt, mit Fiktionen, Projektionen und Rollenspielen. Eine kühne These.

"Gerade in der jüngeren Generation ist es so, dass sich viele Menschen mehr über ihre Konsumerlebnisse definieren als über Theater- oder Lektüreerlebnisse", meint Ullrich. "Das heißt, dass sich das Individuum differenzieren kann, sich abgrenzen kann von anderen durch die Wahl bestimmter Gegenstände, durch Konsumentscheidungen, durch interessante Kombinationen von Dingen. Wenn Sie vor dem Regal stehen und sich überlegen, was Sie jetzt kaufen, dann denken Sie an ihren Geldbeutel, dann überlegen Sie, was gefällt mir, was passt zu mir, womit fühle ich mich gut, aber auch, was wird meine Freundin dazu sagen, meine Mutter, meine Clique?"

Produkte mit Placebo-Effekt

Ist das nicht die Wiederkehr des Kleider-machen-Leute-Prinzips? Heißt Konsumbürgertum permanente Selbstinszenierung? Gibt es nicht auch Kaufentscheidungen unabhängig von Markenimages und Werbesprüchen? Glauben wir diesen überhaupt? Kaufen wir manchmal Dinge nicht wegen, sondern trotz ihrer schwachsinnig anmutenden Reklame?

Wenn wir ein Kosmetikprodukt erwerben, das "repairware" heißt, das "body recharge", "damage care" oder "City- & Outdoor-Protection" verspricht und vor "modernen Stressfaktoren" zu schützen vorgibt, das "vitalising" und "rejuvenating" sein und ein "Anti-Falten-Energy-Depot" besitzen soll, glauben wir dann diesen Humbug tatsächlich?

"Es ist oft ein Phänomen zu konstatieren, das man aus dem Bereich der Medizin kennt und dort als Placebo-Effekt bezeichnet", so Ullrich. "Ich glaube, dass viele Produkte auf solche Placebo-Effekte hin gemacht sind und insofern tatsächlich etwas bewirken, aber vielleicht nicht dauerhaft und nicht gründlich, weil sie Wünsche ansprechen. Nirgendwo ist der Mensch so empfänglich wie da, wo es um seine Wünsche geht."

Streitschrift wider die notorischen Konsumverteufler

"Habenwollen" - Wolfgang Ullrichs Auseinandersetzung mit der Konsumkultur - ist ein gut zu lesendes, anregendes, teilweise auch provokatives Buch, das, auch wo es philosophische Höhen erklimmt und Platon oder Kant zitiert oder den einen oder anderen hochtrabenden Begriff strapaziert, nie übertrieben abstrakt oder theorielastig wirkt. Es ist eine Streitschrift wider die notorischen Konsumverteufler, die im Produzenten stets den Verführer, im Konsumenten immer nur den Verführten sehen.

Dass Konsum hier nicht als bloße Geldmaschine erscheint, betrieben von skrupellosen Geschäftemachern, ist einer der Vorzüge des Buches, dass der finanzielle Aspekt des "Habenwollens" kaum zur Sprache kommt und nur allzu oft von der Produktwerbung auf die Konsumentenintention geschlossen wird, mag zu den Nachteilen zählen.

Ein plumpes Lob des Konsums jedenfalls hat Ullrich nicht formuliert. Er weiß, Konsumkultur ist oft eindimensional, plakativ und parasitär, ihr Marketing nicht mehr als "fiktionsselige Halbbildungshuberei". "Die Identifizierungsangebote, die die Dinge dem Individuum machen, sind ziemlich einfallslos", schreibt Ullrich, "und die Effekte der Stimulation erreichen fast nie die Intensität, die andere Formen der Hoch- und Eventkultur bieten."

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Wolfgang Ullrich, "Habenwollen. Wie funktioniert die Konsumkultur?, S. Fischer Verlag, 2006, ISBN 978-3100860040