Die Jenischen in Österreich

Fahrendes Volk

Als "weiße Zigeuner" wurden und werden die Jenischen in Abgrenzung von Roma und Sinti häufig bezeichnet - ein Begriff, der negativ konnotiert ist. In Österreich sind die Jenischen nach wie vor eine nicht anerkannte Minderheit.

"Was den sesshaften Menschen alljährliches mehrwöchiges Vergnügen ist - nämlich die solide Wohnung gegen Zelt oder Wohnwagen zu tauschen - war den Jenischen stets Tradition, Lebensform und Teil ihrer Identität", schrieb der Schriftsteller Romedius Mungenast. Der im Jahr 2006 verstorbene Schriftsteller war einer der wenigen Jenischen, der die Sprache noch beherrschte und sich selbstbewusst zu seiner Herkunft bekannte.

Wie groß die Zahl der Jenischen in Österreich ist, darüber gibt es nicht einmal Schätzungen. "Mehrere Tausend werden es alleine im Tiroler Oberland schon sein", meinte Romedius Mungenast.

Unbekannte Herkunft

Über die Herkunft der Jenischen gibt es verschiedene Theorien und Sichtweisen. Häufig berufen sie sich selbst auf einen keltischen Ursprung. Waren sie verarmte Menschen im Zuge des Dreißigjährigen Krieges Mitte des 17. Jahrhunderts? Verarmte Kleinhäusler und Bauern, die die Not auf die Landstraße getrieben hat, um Nischen wie Scherenschleifen, Körbeflechten, Hausieren mit Waren aller Art zu finden, um schließlich im 20. Jahrhundert auch als Artisten zu wirken und Handel mit Antiquitäten und Altmetall zu betreiben?

Im Alpenraum wurden sie "Karrner", "Dörcher" oder "Laninger" genannt, in der Steiermark und Kärnten "Stirzler", Begriffe, die ebenfalls durchwegs negativ besetzt sind. Durch das nomadische Leben entwickelten sie eine eigene Kultur und infolge von Diskriminierung eine Sprache, die auch für Einheimische nicht zu verstehen ist. Dabei waren sie ein nicht unwesentlicher Wirtschaftsfaktor: Sie versorgten die sesshafte Bevölkerung mit verschiedensten Waren und Dienstleistungen, die in Zeiten mangelnder Nahversorgung nicht erhältlich gewesen wären.

Dunkles Kapitel der Kinderwegnahmen

In der Schweiz wurden in den Jahren 1926 bis 1973 mindestens 600 Kinder, wenn nicht - so die Meinung von Historikern - an die 1.000 Kinder durch die staatlich mitfinanzierte Stiftung Pro Juventute ihren Eltern entrissen und in Heimen, psychiatrischen Anstalten oder zwangsweise bei nichtjenischen Familien untergebracht.

Auch in Österreich wurden Jenischen Kinder weggenommen - ein unaufgearbeitetes, dunkles Kapitel österreichischer Geschichte. Die im Jahr 1948 geborene jenische Schriftstelllerin Sieglinde Schauer-Glatz etwa wurde im Alter von drei Monaten zusammen mit ihrem Bruder von Fürsorgeinstanzen an nichtjenische, arme Bauern übergeben. Die Frage nach dem Warum stellt sich für sie bis heute. Bei ihren Versuchen, Einsicht in ihre persönlichen Akten zu bekommen, ist sie gescheitert: aus Datenschutzgründen, wurde ihr erklärt. Ein unhaltbarer Zustand, wie auch Historiker, denen die Akteneinsicht gleichfalls verwehrt wird, meinen.

Ihre Mutter hat sie als Jugendliche gefunden. in einer Baracke des früheren NS-Arbeitslagers Reichenau/Innsbruck.

Minderheit Jenische

"Tatsache ist, dass wir in der Schweiz eine Anerkennung als Volksgruppe haben, die Ihr in Österreich noch nicht habt", sagt Robert Huber, Präsident der Radgenossenschaft der Landstraße mit Sitz in Zürich. Robert Huber kritisiert, dass Jenische in Österreich aufgrund des Hausierverbots nicht mehr offiziell auf die Reise gehen können. Dies sei eine Einschränkung der Berufe der Jenischen, sowie deren Lebensweise. "Wir haben einen Minderheitenschutz und der sollte gerade in Österreich - Ihr seid ja in der EU - endlich zum Tragen kommen", so die Sicht des Schweizers.

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 6. August 2007, bis Donnerstag, 9. August 2007, 9:30 Uhr

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