Philosophie in biografischen Skizzen

Rebellen und Exzentriker

Die Außenseiter, die Rebellen, die Exzentriker der Philosophie stehen im Mittelpunkt von Konrad Paul Liessmanns 4. Serie "Denken und Leben". Der Bogen reicht von Sokrates, dem Ahnherrn aller Philosophen, bis zu Paul Feyerabend.

Sie stehen abseits oder dazwischen, sind schwer einzuordnen, manchmal fallen sie eher unangenehm auf, sie denken unsystematisch und respektlos, wenn sie überhaupt schreiben, bevorzugen sie einen literarischen oder essayistischen Stil, manche tauchen auf wie eine Sternschnuppe, die schnell verglüht, sie bilden keine Schulen und gelangen nur in Ausnahmefällen zu akademischen Ehren: die Außenseiter, die Rebellen, die Exzentriker der Philosophie.

Gegen starres Denken

Schon der Ahnherr aller Philosophie war anders als fast alle Philosophen nach ihm: Sokrates (469-399 v. Chr.). Er lehrte nicht, sondern verstrickte sich in Gesprächen, er schrieb nicht, sondern redete, er machte sein Denken nicht zu einem Geschäft wie die Sophisten, sondern suchte die Weisheit um ihrer selbst willen und er starb den paradigmatischen Tod der Rebellen: zum Tode verurteilt wegen Gotteslästerung und Verführung der Jugend.

Der philosophische Rebell rebelliert allerdings nicht nur gegen die Gesellschaft, sondern auch gegen ein Denken, das starr und spröde geworden ist. Der Kynismus eines Diogenes (ca. 400-ca. 320 v. Chr.) verzichtete überhaupt auf Argumentation, sondern setzte ganz auf die provozierende Geste, eher Aktionskünstler denn Philosoph.

"Versuche" in Essayform

Der philosophische Außenseiter verweigert sich gerne dem akademischen Stil. Wenn er schreibt, greift er auf eine Form zurück, die der französische Edelmann Michel de Montaigne (1533-1592) entwickelt hat: den Essay. Er stellt also "Versuche" an, unsystematisch, aber immer auf das Leben bezogen. Er ist kein Dogmatiker, sondern Skeptiker, er plädiert für Gelassenheit und gegen jeden Fanatismus. Und er spricht unverblümt von sich, allerdings ohne sich für den Mittelpunkt der Welt zu halten.

Von sich selbst zu sprechen, ohne Illusionen, ohne jeden Glauben an höhere Instanzen, absolute Werte oder ideale Gemeinschaften: Niemand hat dies so radikal getan wie der deutsche Hilfslehrer Johann Caspar Schmidt (1806–1856), der sich Max Stirner nannte und in dem Buch "Der Einzige und sein Eigentum" einen erschreckend zeitgemäßen anarchischen Individualismus propagierte.

Kritik am Christentum

Kein wahrer Rebell, der nicht gegen die höchste aller Instanzen rebelliert: Gott. Ludwig Feuerbach (1804-1872), noch von Hegel geschult, unterwirft das Christentum einer radikalen Kritik und erkennt in den Gottesvorstellungen nichts als eine verkehrte Anthropologie: der Himmel als Projektionsfläche für die Befindlichkeiten des Menschen. Schon fast vergessen, wird Ludwig Feuerbachs Buch "Das Wesen des Christentums" in einer Zeit, in der die Religion eine ungeahnte Renaissance erlebt, wieder zur Pflichtlektüre.

"Im Kampf um Gott" also. Das war auch der Titel eines philosophischen Romans, den die erst 23-jährige Lou Salomé (1862-1937) im Jahre 1885 veröffentlichte. Die exzentrische, alle Konventionen verachtende Frau, damals die Freundin von Paul Rée und Friedrich Nietzsche, in nie vollzogener Ehe mit dem Orientalisten Carl Andreas verheiratet, später unter anderem die Geliebte von Rainer Maria Rilke und Schülerin von Sigmund Freud, wandte sich allerdings bald eher irdischen Dingen zu: vor allem der Erotik, der sie einige ziemlich aufreizende Essays gewidmet hat.

Sich keine Vorschriften machen lassen

Die Rebellen der Philosophie sind antimetaphysisch orientiert und gottlos. Das grausame 20. Jahrhundert, voll von Kriegen und Völkermorden, hat sie in dieser Haltung bestärkt. Das Leiden hat keinen Sinn, das Leben des Menschen ist absurd, dennoch wird es immer wieder und immer weiter gelebt. Niemand hat diese Haltung so ausdrucksstark vorgetragen wie Albert Camus (1913-1960), eine in jeder Hinsicht schillernde Figur, eine der Ikonen des Existenzialismus, Prototyp des philosophischen Rebellen - und Nobelpreisträger.

Rebellen geht es um Freiheit. Und wirklich freie Menschen lassen sich weder von einer Religion, noch von einer Wissenschaft vorschreiben, was und wie sie zu denken haben. In durchaus kynischer Manier wird der aus Österreich stammende, später in Berkeley und Zürich lehrende Paul Feyerabend (1924-1994) zuerst seine philosophischen Lehrer und dann den modernen Glauben an die Wissenschaft attackieren und damit demonstrieren, dass man durchaus eine Professur mit einem (erkenntnistheoretischen) Anarchismus verbinden kann.

Hör-Tipp
Denken und Leben, jeweils Sonntag, ab 12. August 2007, 9:30 Uhr

CD-Tipp
Konrad Paul Liessmann, "Denken und Leben I+II+III", ORF-CD 2005299, erhältlich im Ö1-Shop.