Aus der Sicht einer Frau

Frau Paula Trousseau

Dass ein männlicher Autor das Risiko eingeht, aus der Sicht einer Frau - eben "Frau Paula Trousseau" - zu erzählen, hat manche Kritiker verstört. Christoph Hein jedoch hat mit diesem Buch erneut bewiesen, dass er ein ausgezeichneter Erzähler ist.

Jeder Anfang ist schwer, im Besonderen ein Romananfang. So kommt ein recht wirksamer Trick jüngstens häufig zur Anwendung: Man beginnt mit dem Tod der Hauptfigur. Mit der Todesmeldung von Frau Paula Trousseau setzt Christoph Heins neuer Roman ein: Sie hat sich mit Schlafmitteln vergiftet, ihr Leiche wurde in einem Nebenarm der Loire gefunden. Ein Mann, der mit ihr vor langer Zeit eine kurze Beziehung unterhalten hatte, wird zu ihrem Nachlassverwalter eingesetzt, was ihn in große Verlegenheit bringt. Paula Trousseau war Malerin, und der Mann hat von Kunst wenig Ahnung.

Desaströse Familie

In Rückblenden, etwa vom Beginn der 1970er Jahre bis ins Jahr 2000, wird vom Leben der Paula Trousseau berichtet. Der Schauplatz ist das Gebiet der DDR. Die Hauptstimme gehört Paula Trousseau, die uns mehr oder weniger linear ihre Geschichte erzählt. Ein paar unregelmäßig in den Bericht eingestreute Episoden führen in die Kindheit und Jugend der Heldin, sie werden allerdings von einer anderen Erzählstimme vorgebracht.

Wer einen katastrophalen Lebenslauf erzählen will, fängt am besten mit einer Familienkatastrophe an. Die Familie, in die Paula hineingeboren wird, ist ein Desaster, dem sie nie entkommt: Der Vater ist ein Schuldirektor und der Tyrann schlechthin. Er hält seine Familie kurz und bringt das Geld zu einer Geliebten. Die Mutter ergibt sich dem Alkohol und sucht ihrem Leben ein Ende zu machen, erfolglos.

Der Sohn ist durch einen Unfall beim Uranabbau zum Krüppel geworden; die Schwester ist ein kleines Ekel und will von zu Hause weg. Das will Paula auch, und so heiratet sie einen um dreizehn Jahre älteren Mann, dem sie durch die Aufnahme in die Akademie in Berlin als Malerin zu entkommen trachtet. Der Mann schwängert sie heimtückisch, anders kann man es nicht nennen. Bei der Scheidung wird das Kind, ein Mädchen, ihm zugesprochen; die Trennung ist eine endgültige.

Paula beginnt mit einem ihrer Professoren ein Verhältnis, das ihrer Karriere zumindest für eine Zeit förderlich ist. Sie trennt sich von ihm, schlägt sich mehr schlecht als recht als Malerin in Berlin und später auf dem Lande durch. Sie bekommt noch ein Kind von einem erfolgreichen Schauspieler, den sie nicht ausstehen kann und verschweigt ihm daher die Vaterschaft; sie geht eine längere Beziehung mit einem gutmütigen Mann ein, schickt allerdings dann auch diesen fort. Das größte Glück scheint sie mit zwei Frauen zu erleben, mit der smarten Gattin eines Universitätsprofessors, die nicht müde wird zu betonen, wie sehr sie ihren Mann liebt, und mit einer Schulfreundin, deren Männerbeziehungen ständig wechseln, die aber ihrer Paula die Treue hält.

Aus der Perspektive Paulas

Über den Mangel an Handlung kann man sich nicht beklagen, es ist vielleicht sogar zu viel drin. Es liest sich gut, beim Lesen stellen sich, und das stimmt bedenklich, kaum Widerstände entgegen. Da wir meist auf die Perspektive Paulas festgelegt sind, droht Identifikation mit dieser Figur, doch in der Tat beginnt man sich über Paula zu ärgern. So gewiss ihr Lesersympathien in ihrer Auflehnung gegen die patriarchalische Gesellschaft gelten, so sehr verstört ihr Verhalten, die Inkonsequenz, die hochmütige Willkür und das geringe Verständnis, das sie den anderen entgegenbringt.

Man ärgert sich auch vielleicht über den Autor, der einen auf diese Perspektive festgelegt hat, aber zuletzt wirkt der Trick doch, denn Paula ist der ideale Filter: Durch sie wird der Alltag wie auch die Kunstszene lebendig, lebendig gerade durch das Subjekt Paula Trousseau.

Einblick in den DDR-Alltag

In der Darstellung sexueller Praktiken ist der Text alles andere als zimperlich. Wohltuend, dass moralisierende und ideologisierende Kommentare vermieden werden, und so leistet das Buch etwas, das den meisten um politische Korrektheit bemühten Schreibern versagt bleibt: Es vermittelt einen Einblick in die Geschichte des Alltags und der Künstlerproblematik in der DDR, ein Stück Geschichte, das so in den offiziellen Annalen, ob von Freund oder Feind verfasst, sich nie finden wird.

Dass ein männlicher Autor das Risiko eingeht, aus der Sicht einer Frau zu erzählen, hat manche Kritiker verstört, aber in seiner frühen, bei uns unter dem Titel "Drachenblut" bekannten Erzählung wurde dies von der Kritik weithin gebilligt. In jedem Falle verfügt die Gender-Forschung mit diesem Buch über ein Objekt, an dem sie sich abarbeiten kann, ein Objekt, mit dem sich die Auseinandersetzung lohnt, denn Christoph Hein hat mit diesem Buch erneut unter Beweis gestellt, dass er sich auf das Handwerk des Erzählens versteht.

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Christoph Hein, "Frau Paula Trousseau", Suhrkamp Verlag, ISBN 9783518418789