Überlegungen von John R. Searle
Geist
John R. Searle gehört zu den einflussreichsten Philosophen unserer Zeit. Zu seinen ersten Untersuchungsfeldern gehörte die Sprachphilosophie. In seinem neuesten Buch widmet er sich Fragen wie: Wieso denkt und spricht unser Geist in der Form des "Ich"?
8. April 2017, 21:58
John R. Searles neuestes Buch trägt den Titel "Geist. Eine Einführung", auf Englisch heißt das Buch "Mind. A brief introduction", also eine "kurze Einführung" wird geboten - allerdings auf über 300 Seiten!
Mit dem Begriff "Kürze" meint Searle die mittlerweile enorme Forschungsliteratur zum Thema Geist und Gehirn. Seitdem die Künstliche-Intelligenz-Forschung und die Neurobiologie dieses wichtige Thema als ihr ureigenstes Gebiet betrachten, dabei von materialistischen Strömungen in der Philosophie unterstützt und zugleich von eher idealistisch orientierten Philosophen heftig attackiert werden, sind die Aufsätze und Einzelpublikationen zum Thema Geist kaum noch zu überblicken.
Denken ist Leben
Die Tätigkeit des Geistes - bewusst und unbewusst, frei und unfrei, beim Wahrnehmen, Handeln und Denken, beim Fühlen und Denken, beim Erinnern und in all ihren anderen Ausprägungen - ist nicht so sehr ein Aspekt unseres Lebens, sondern in gewissem Sinne ist sie unser Leben.
Doch, was ist unser Leben? Gibt es auch das Transzendente, Nicht-Greifbare, wie das "Ich", die "Seele", die, nachdem mein Gehirn und damit mein Bewusstsein gestorben ist, vielleicht weiter lebt? Auf solche Fragen möchte Searle keine Antworten geben. Besser gesagt, als materialistischer und naturwissenschaftlich orientierter Philosoph sind dies Fragen für ihn eigentlich gar keine.
Searle ist ehrlich genug einzugestehen, dass die rein materialistisch-naturwissenschaftliche Position, wie sie vor allem die Philosophie in den USA bestimmt, nicht die letzte Weisheit sein kann.
Hardware und Software
Anfang der 1950er Jahre begann durch Alan Turing und andere die Erforschung künstlicher Intelligenz. In den 1980er Jahren war diese Disziplin im Verbund mit kognitiver Psychologie, Linguistik und Informatik so weit fortgeschritten, dass man daran ging, den menschlichen Geist neu zu bestimmen. John R. Searle erinnert sich:
Das System funktioniert so: Das Gehirn ist ein digitaler Computer und das, was wir den "Geist" nennen, ist ein digitales Computerprogramm oder eine Menge von Programmen. (...) Der Geist ist für das Gehirn, was das Programm für die Hardware ist.
Erschreckend an diesem Bild ist nicht, dass der menschliche Geist mit der Funktionsfähigkeit eines Computers verglichen wird. Seit Alan Turing beruht das Funktionsschema eines Computers auf der zweiwertigen Logik, also auf einem Wahr/Falsch-Schema. So funktioniert unser logisches Denken und genau deswegen funktioniert auch der Computer so und nicht anders. Erschreckend ist vielmehr, dass die Forschung der Künstlichen Intelligenz mit einem Federstrich wichtige Leistungen des menschlichen Geistes annullierte und dass Philosophen wie Searle einfach so taten, als gäbe es keine Jahrtausend alte Geschichte des Denkens über den menschlichen Geist!.
Erinnerung ist die Basis
Das, was den menschlichen Geist seit jeher ausmacht, ist zum Beispiel seine enorme Lernfähigkeit. Einen selbstlernenden Computer, einen, der eigenständig eigene Programme an neue Gegebenheiten anpasst, also seine Programme weiterentwickelt, gibt es nicht.
Ein weiterer entscheidender Punkt im Unterschied zum Computer ist, dass der menschliche Geist über Erinnerung verfügt. Erst die Fähigkeit, sich an vergangene Gegebenheiten zu erinnern, ermöglicht, Handlungen jetzt und in der Zukunft zu vollziehen. Erinnerung ist überhaupt die Basis, um so etwas wie ein eigenes Weltbild zu erlangen.
Nicht-verifizierbares "Selbst"
Wer aber hält all die Erinnerungsbilder eines Menschen zusammen? Wer koordiniert das alles? John R. Searle fällt es als Materialist schwer, es auszusprechen: Es sei ein "Selbst", das nicht beobachtbar und verifizierbar sei, also keine wissenschaftliche Tatsache abgibt.
Searle nennt dieses "Selbst" eine "rein formale Idee", was einem aber bloß zur klassischen Philosophie zurückführt. Auch wenn bislang noch niemand seinem eigenen Ich die Hand schütteln konnte, so sollte man doch ehrlich sein und sagen: So schlecht sind wir mit diesem "Ich" gar nicht gefahren. John R. Searles Einführung in die Philosophie des Geistes ist dabei ein wichtiger Wegbegleiter: Einerseits beschreibt das Buch die wichtigsten Positionen der Geistesforschung in den letzen 50 Jahren, andererseits macht es aufmerksam auf die Enge und auch auf die Engstirnigkeit philosophischen Denkens, das mit dem Materialismus der Naturwissenschaft Hand in Hand gehen möchte. Am Ende von Searles Buch weiß man eines: Auch philosophisch-naturwissenschaftlichen Aussagen sollte man als Mensch mit Geist genau aufs Maul schauen.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
John R. Searle, "Geist. Eine Einführung", Suhrkamp Verlag, 2006, ISBN 978-3518584729