Wortminiaturen von Karl Kraus
Sprüche und Widersprüche
"Ein Aphorismus braucht nicht wahr zu sein, aber er soll die Wahrheit überflügeln. Er muss mit einem Satz über sie hinauskommen." Das notierte der Herausgeber der "Fackel", Karl Kraus, über seine polemischen Miniaturen. Hier eine Auswahl.
8. April 2017, 21:58
Von einem Bekannten hörte ich, dass er durch Vorlesen einer meiner Arbeiten eine Frau gewonnen hat. Das rechne ich zu meinen schönsten Erfolgen, denn wie leicht hätte ich selbst in diese fatale Situation geraten können.
Aber ein so besonderes Vergnügen ist die Enthaltung vom Weibe auch nicht, das muss ich schon sagen!
Wenn ein Frauenkenner sich verliebt, so gleicht er dem Arzt, der sich am Krankenbett infiziert. Berufsrisiko.
Die anständigen Frauen empfinden es als die größte Dreistigkeit, wenn man ihnen unter das Bewusstsein greift.
Eine Frau muss wenigstens so geschickt kokettieren können, dass der Gatte es merkt. Sonst hat er gar nichts davon.
Ich kann mich so bald nicht von dem Eindruck befreien, den ich auf eine Frau gemacht habe.
Er war so unvorsichtig, ihr vor jedem Schritt die Steine aus dem Weg zu räumen. Da holte er sich einen Fußtritt.
Das Weib lässt sich keinen Beschützer gefallen, der nicht zugleich eine Gefahr ist.
Liebe und Eros
Der Mann bildet sich ein, dass er das Weib ausfülle, aber er ist nur ein Lückenbüßer.
Liebe und Kunst umarmen nicht, was schön ist, sondern was eben dadurch schön wird.
Erröten, Herzklopfen, ein schlechtes Gewissen - das kommt davon, wenn man nicht gesündigt hat.
Das höchste Vertrauensamt: Beichtvater unterlassener Sünden.
Auf lautes Herzklopfen nicht "Herein!" zu sagen - dazu ist wahrlich die Beste nicht gut genug.
In der Liebe kommt es nur darauf an, dass man nicht dümmer erscheint, als man gemacht wird.
Sie sagte, sie lebe so dahin. Dahin möchte ich sie begleiten!
Mensch und Gesellschaft
Wer andern keine Grube gräbt, fällt selbst hinein.
Es war alles da, was da sein muss und was sonst nicht wüsste, wozu das Dasein ist, wenn es nicht eben dazu wäre, dass man da ist.
Der Mensch denkt, aber der Nebenmensch lenkt. Er denkt nicht einmal so viel, dass er sich denken könnte, dass ein anderer denken könnte.
Eine merkwürdige Art Mensch ist der Beamte eines magistratischen Bezirksamtes. Erledige ich eine Angelegenheit schriftlich, so lädt er mich vor. Gehe ich das andere Mal gleich selbst hin, so fordert er mich auf, eine Eingabe zu machen. Ich muss rein auf die Vermutung kommen, dass er das eine Mal mich kennen lernen und das andere Mal ein Autogramm von mir haben wollte.
Was für ein Freund der Geselligkeit war doch der bayerische König, der allein im Theater saß! Ich würde auch selbst spielen.
Die Einsamkeit wäre ein idealer Zustand, wenn man sich die Menschen aussuchen könnte, die man meidet.
"Das Leben geht weiter" - als es erlaubt ist.
Hör-Tipps
Gedanken, Mittwoch, 15. August 2007, 13:35 Uhr
Die letzten Tage der Menschheit, Mittwoch, 15. August 2007, 14:05 Uhr, weitere Folgen Montag bis Freitag, jeweils 14:40 Uhr
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