Das Leben ist ein Schachspiel
Strategie und die Kunst zu leben
Am 10. März 2005 spielte Garri Kasparow sein letztes professionelles Schachspiel. Seitdem engagiert er sich in Russland auf politischer Ebene. Strategien für dieses Unterfangen und fürs Leben allgemein versucht er nun mit seinem Buch zu vermitteln.
8. April 2017, 21:58
Vor etwas mehr als zwei Jahren endete die Karriere des wohl besten Schachspielers der letzten Jahrzehnte, Garri Kasparow. 1963 in Aserbaidschan geboren, begann er mit sechs Jahren Schach zu spielen und wurde mit 22 Jahren der zu dieser Zeit jüngste Schachweltmeister der Geschichte. Über 20 Jahre stand er an der Spitze der Weltrangliste.
Dinge, die man einfach tun muss
Auch nachdem Kasparow seine aktive Laufbahn beendet hatte, gelang es dem überragenden Taktiker, seine Gegner in Staunen zu versetzen. Nicht etwa widmete er sich nach dem Rücktritt dem süßen Nichtstun, sondern er begann, sich in Russland politisch zu engagieren - ein tollkühnes und gefährliches Unterfangen, wie man von unzähligen tragischen Beispielen weiß. Mit den verschiedensten Gruppen und Aktivisten hat sich Kasparow zusammengetan, um eine echte Oppositionsbewegung zu bilden.
Immer wieder werde ich gefragt, ob es nicht gefährlich und tollkühn ist, sich gegen das Kreml-Regime zu stellen. Meine Antwort darauf ist einfach: Es gibt Dinge, die muss man einfach tun. Egal, ob ich einen Sieg oder eine Niederlage davontrage, dieser Kampf muss ausgefochten werden.
Garri Kasparows beschreibt sein aktuelles politisches Handeln auf gerade einmal zwei Seiten, aber eines wird nach Lektüre dieses Buches klar: Der oftmalige Schachweltmeister wird von der russischen Nomenklatura nicht so leicht ruhig zu stellen sein, denn Ausdauer, Taktik und der unbedingte Wille, etwas Begonnenes zu Ende zu führen, sind nicht nur im Schach wichtig, sondern auch in der Politik.
Strategie, Taktik und Berechnung
In dem vorliegenden Buch versucht Kasparow die Ähnlichkeiten zwischen Schach und dem Leben zu beleuchten. Da das königliche Spiel nun einmal eine sublimierte Form des Duells ist, in dem es darum geht, den anderen zu täuschen, ihn ins Eck zu drängen und zu zermürben, beschreibt Kasparow das Leben dann auch über weite Strecken als Kampf. Strategie, Taktik, Berechnung, Material, Qualität; den Bogen nicht überspannen, die Suche nach Kompensation, die Wahl des kleineren Übels.
Es verwundert nicht, dass es sich bei diesem Buch um keinen simplen Lebensratgeber mit noch simpleren Rezepten handelt. Wie man sich in zwei Wochen zu einem glücklichen, schlanken, erfolgreichen und begehrten Menschen wandelt, das weiß auch das Schachgenie nicht. Kasparow orientiert sich nicht an dem zurzeit so beliebten esoterischen Wohlfühl- und Wellness-Schnickschnack, sondern an den Rezepten der klassischen griechischen Philosophen. So empfiehlt er Selbstbeobachtung, den Willen, sich permanent zu verbessern, wachsam zu bleiben und ja nicht selbstzufrieden zu werden.
Das hier ist kein Kochbuch: Jeder muss aus den Zutaten, die ihm zur Verfügung stehen, sein eigenes Rezept herstellen. Es gibt gewisse Richtlinien, doch jede und jeder muss in der Praxis und durch Beobachtung den jeweils richtigen Weg für sich selbst finden. Das geht weder schnell noch automatisch. Vielmehr müssen wir uns aktiv erziehen.
Liebeserklärung an Schach
Bei allen Lebensweisheiten ist Kasparows Buch - wie könnte es auch anders sein - vor allem eine Liebeserklärung an das Schachspiel. Nicht nur versucht er aus der Art und Weise, wie er seine Partien gewann, Schlüsse auf Entscheidungen des alltägliche Lebens zu gewinnen, er widmet auch jedem Schachweltmeister einige Seiten. Sehr respektvoll würdigt ein Großer des Sports die anderen Großen.
Nur über Wladimir Kramnik, gegen den er im Oktober 2000 seinen Weltmeistertitel verlor, hat Kasparow wenig Gutes zu berichten. Man merkt diesem kurzen Absatz die Mühe an, die es Kasparow kostete, über seinen ehemaligen Assistenten etwas halbwegs Nettes zu Papier zu bringen.
Verlieren unerwünscht
Egal, ob der ehemalige Schachweltmeister jene tollen Spieler analysiert, die niemals Weltmeister wurden; egal ob er über die Polgar-Schwestern schreibt, die bewiesen haben, dass Frauen nicht per se den Männern unterlegen sein müssen, oder ob er anhand seiner Duelle mit dem Supercomputer "Deep Blue" über das Verhältnis der Menschen zu ihren Maschinen räsoniert: Garri Kasparows Buch ist für Schachspieler und Schachfans eine unverzichtbare Lektüre. Für alle anderen ist es ein kluger Text, der viel darüber aussagt, über welche Eigenschaften man heute verfügen muss, um in unserer Welt Erfolg zu haben.
Bevor man mich bezichtigt, ein schlechter Verlierer zu sein, bekenne ich mich in diesem Punkt schuldig. Ich hasse es zu verlieren, vor allem, wenn ich nicht begreife, aus welchem Grund ich verloren habe.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
Garri Kasparow, "Strategie und die Kunst zu leben. Von einem Schachgenie lernen", aus dem Russischen übersetzt von Dagmar Mallett und Anne Emmert, Piper Verlag, ISBN 9783492047852