Töne in der Farbe des Himmels
"Sky Blue" von Maria Schneider
Im Dezember 20006 präsentierte Maria Schneider im Rahmen von New Crowned Hope ihr Auftragswerk "Cerulean Skies". Nun ist es auf CD erschienen - auf einem außergewöhnlichen Produktions- und Distributionsweg, der Anleihen im 17. Jahrhundert nimmt.
8. April 2017, 21:58
Als Maria Schneider im Dezember 2006 ihr Auftragswerk "Cerulean Skies", das Peter Sellars für sein New-Crowned-Hope-Festival kommissioniert hat, im Wiener Konzerthaus präsentierte, konnte man Zeuge ihrer kunstvollen Arrangierkunst werden.
Ihr symphonisch ausgebreiteter Ensembleklang voll feiner Instrumentierung, ihre zart schwingenden Klanggebilde und sorgfältig strukturierten Formen, ihre verschwenderisch ausgedehnten Spannungs- und Melodiebögen begeisterten uneingeschränkt. Kein Wunder, denn sie lernte von den Besten.
Maria Schneider Orchestra
Nach einem Abschluss an der renommierten Eastman School of Music kam Schneider 1985 nach New York City, um bei Bob Brookmeyer Komposition zu studieren. Zur selben Zeit sammelte sie Erfahrung als Assistentin beim Arrangeur Gil Evans.
1993 gründete Maria Schneider dann ihre eigene Bigband, das Maria Schneider Orchestra, und mit dieser Band erhielt sie 2005 ihren ersten Grammy (für "Concert in the Garden").
Das Herzstück der CD
Das Programm der denkwürdigen Aufführung im Wiener Konzerthaus ist nun unter dem Titel "Sky Blue" auf CD erschienen, und neben dem Titeltrack ist die Komposition "Cerulean Skies" wohl das Herzstück der Veröffentlichung. Gewidmet ist es einem seltenen Zugvogel, dem Cerulean Warbler (Dendroica cerulea), zu Deutsch Pappelwaldsänger, dessen Verbreitungsgebiet sich von Nebraska über die Great Lakes nach Südontario, Quebec und Neu-England erstreckt.
Den Winter verbringen Pappelwaldsänger in Südamerika, und bei ihren Reisen machen die Vögel gerne Rast im New Yorker Central Park, wo einer von ihnen auf die Hobbyornithologin Maria Schneider traf und offensichtlich ihr Interesse weckte. Die 20-minütige Komposition, die aus dieser Begegnung resultierte, zeichnet musikalisch den Weg der Vögel von Süd- nach Nordamerika nach, Vogelstimmenimitationen inklusive.
Fasziniert vom Vogelgesang
So wie Maria Schneider zeigten sich viele Musiker und Komponisten, auch Mozart und Olivier Messiaen, vom Vogelgesang fasziniert. Bei oberflächlichem Hören mag er wie unorganisierter Lärm wirken, bei genauerer Betrachtung und Verlangsamung des Tempos auf menschliches Niveau erkennt man allerdings Organisation, Form und Struktur.
Wie in der Musik finden sich auch im Vogelgesang "Fusion-Künstler", etwa der Acrocephalus Palustris (Sumpfrohrsänger), der seinen Gesang aus den Rufen anderer Vögel, sowohl aus seinem europäischen Lebensraum als auch aus seinem afrikanischen Winterquartier, zu einem atemberaubenden Stilmix zusammenstellt. Echte World Music eben.
Überraschende Ergebnisse der Gehirnforschung
In der Mikromusik der Vogelstimmen finden sich Phrasen und Motive, die mit etwas Phantasie aus der elektrischen Periode eines Miles Davis stammen könnten, und andere, die zu Vergleichen mit Charlie "Bird" Parker und Ornette Coleman anregen. Überraschend auch die Ergebnisse der Gehirnforschung, die seit einigen Jahren die erstaunliche Fähigkeit des Kanarienvogels untersucht, durch das Lernen von neuen Liedern das Wachstum neuer Gehirnzellen anzuregen.
Man ist speziellen Hormonen auf der Spur und hofft auf eine anwendbare Methode in der Humanmedizin. All das und vieles mehr findet sich im Buch des Klarinettisten, Philosophen und Ornithologen David Rothenberg mit dem Titel "Why Birds Sing - A Journey Through The Mystery of Bird Song”, das mit hörenswerten Feldaufnahmen auf der Website whybirdssing.com aufwartet. Ein Buch für Ohrenmenschen, das Lust aufs Hören macht.
Vertrieb nur übers Internet
Neben der Beschäftigung mit dem Vogelgesang ist Maria Schneiders neue CD "Sky Blue" auch aus einem anderen Grund bemerkenswert: Sie ist nämlich nicht von einer Plattenfirma produziert, sondern von ihren Fans durch das Service ArtistShare und wird ausschließlich über das Internet vertrieben.
Die Aufnahme wurde durch geringe Nutzungsbeträge, sogenannte "Mikrozahlungen" finanziert, die es dem Publikum ermöglichen, ihre Lieblingskünstler persönlich zu unterstützen. Je nach Beitrag erhält der private Sponsor eine Standard-CD oder ein 40-seitiges Booklet, die gesamte Partitur als Computer-Download, oder eine Audioversion ohne Solos, bei der man sich selbst als Solist versuchen kann.
Ein Prinzip aus dem 17. Jahrhundert
Für 1.000, 2.500, 7.500 oder 18.000 Dollar wird man als Produzent auf der CD verewigt, bekommt VIP-Tickets zu Konzerten, erhält eine persönliche Video-Botschaft von Maria Schneider und kann bei den Aufnahmen dabei sein.
Die Idee ist nicht neu, im Prinzip handelt es sich um das im 17. Jahrhundert auf dem deutschen Buchmarkt eingeführte Prinzip der Subskription. Ziel war die Vollendung von Werken, die aufgrund ihres speziellen Inhalts, ihrer künstlerischen Gestaltung oder aber wegen ihres geplanten Umfangs nur schwer verkäuflich sein würden.
Kompensation vor der Veröffentlichung
Der Gründer von ArtistShare Brian Camelio adaptierte im Jahr 2000 dieses Modell. Als Musiker und Programmierer war er sich der Herausforderungen der neuen Technologien bewusst und setzte auf die Idee, dass Künstler kompensiert werden, bevor ihr Werk veröffentlicht ist. Kunst wird als kollaterales Material und der kreative Prozess als Ressource verstanden.
Auf der Liste der Künstler, die über ArtistShare ihre Werke produzieren, stehen namhafte Musiker wie Cuong Vu, Trey Anastasio, Jane Ira Bloom, Bob Brookmeyer, Jim Hall, Ingrid Jensen, Danilo Perez, Kenny Werner oder Ed Neumeister. 2004 gewann Maria Schneider als erste Künstlerin in der Kategorie "Best Large Jazz Ensemble" einen Grammy für ein Album, das ausschließlich via Internet verbreitet wurde. Phantasie also nicht nur in künstlerischen Belangen, sondern auch im Bereich des Marketing.
Mehr zu Maria Schneider in oe1.ORF.at
Hör-Tipp
Die Österreich 1 Jazznacht, Samstag, 25. August 2007, 22:05 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at
CD-Tipps
Maria Schneider, "Sky Blue", artistShare AS0065
Michel Portal, "Birdwatcher", Universal 984 556-3
Links
Maria Schneider
ArtistShare
whybirdssing.com