Das Generalthema der Salzburger Festspiele

Nachtseiten der Vernunft

Jürgen Flimm hat die Nachtseite der Vernuft zum Motto für sein erstes Jahr als Intendant der Salzburger Festspiele gemacht. Auch die Festspieldialoge waren dem Thema gewidmet, so in Vorträgen des Hirnforschers Wolf Singer und der Philosophin Birgit Recki.

"Wo die Vernunft ihren Schatten wirft, das Dunkel beginnt, bewahrt die Illusion ihre anarchisch-wilde Anziehungskraft, als das Fremde, das Unentdeckte, das immer mehr verspricht als der durchschaute Alltag jemals einlösen könnte", schreibt der Salzburger Rechtsphilosoph Michael Fischer in seiner Programmatik der Festspiel-Dialoge 2007.

Als Intendant wählt Jürgen Flimm in seinem ersten Jahr die Nachtseite der Vernunft zum Motto der diesjährigen Salzburger Festspiele. Doch auch abseits des Festspieltrubels gehen auf Einladung der Festspieldialoge namhafte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Frage nach, was für sie die dunkle Seite der Vernunft bedeute. So auch die Hamburger Philosophin Birgit Recki, die sich aus der Psychoanalyse bedient.

Ihre Vorstellung beruht auf Sigmund Freuds Theorie des Unbewussten, das die Kontrolle über das Ich übernimmt. In ihrem Vortrag stellt sie einen Kontext zu dem Bild "Capriccio 43" von Goya her. Es ist für sie ein emblematisches Werk für den Diskurs über Aufklärung und es wird daher oft als Kronzeuge für die Darstellung der Nachtseite der Vernunft herangezogen. Goya zeigt eine menschliche Gestalt, schlafend über den Tisch gebeugt und über ihren Kopf treiben furchterregende Gebilde ihr Unwesen.

Die spanische Bildunterschrift lautet "Il Sueno de la razon produce monstruos". Der Titel ist der Grund für einen jahrelangen wissenschaftlichen Streit über die Grenzen der Kunstgeschichte hinaus. Der Konflikt dreht sich um das Wort "sueno": ist es der Traum der Vernunft, der nach Goyas Bildlegende die Ungeheuer gebiert oder der Schlaf der Vernunft?

Die Nachtseite der Hirnforschung?
Andere Ansätze bringt der Neurophysiologe Wolf Singer, Leiter des Max Planck Institutes für Hirnforschung in Frankfurt, ins Spiel. Er hat mit seinen Forschungsergebnissen schon etliche psychologische und philosophische Theorien ins Wanken gebracht. Ausgangspunkt seiner Überlegungen für die Nachtseite der Vernunft ist die Frage nach dem Ich. Das Ich sei die Gesamtheit der miteinander wechselwirkenden Hirnfunktionen und manifestiere sich im Dialog zwischen Personen, in der bewussten Spiegelung des jeweils anderen.

Nach Wolf Singer lasse sich das Ich im Gehirn nicht manipulieren, jedoch gebe es bereits Tiefenhirnstimulation. Eine Behandlungsmethode, die bei Parkinson und Alzheimer eingesetzt wird und immer wieder Ethikkommissionen neuen Diskussionsstoff gibt. Gleichzeitig erzielt sie aber große Fortschritte, wenn pharmakologisch keine Aussicht auf Behandlungserfolg mehr besteht. Die Reize, die dabei gesendet werden erzielen auch Wirkung bei schweren Depressionen, wo andernfalls nur Elektroschocktherapie eingesetzt werden könnte.

Auszüge aus den Vorträgen des Hirnforschers Wolf Singer über "Philosophische Implikationen der Hirnforschung", Wim Wenders, Filmemacher, Jorge Semprun, Schriftsteller, Jürgen Flimm mit Auszügen aus seiner Festspielrede und der Philosoph Peter Strasser mit seinem Buch „Dunkle Gnade. Willkür und Wohlwollen“ erschienen im Wilhelm Fink Verlag, und weiterführenden Interviews sind im "Salzburger Nachtstudio" zu hören.

Hör-Tipp
Salzburger Nachtstudio, Mittwoch, 29. August 2007, 21.01 Uhr

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