Unterwegs mit dem letzten Wanderschäfer Österreichs

Schlepping durch die Alpen

Hans Breuer ist der letzte Wanderschäfer Österreichs. Gemeinsam mit Frau, Kindern und rund 1.000 Schafen zieht er quer durchs Land. Sam Apple hat ihn auf einer dieser Wanderungen begleitet und ein amüsantes Reisetagebuch darüber verfasst.

Ausschlaggebend für seine Reise ist ein Mann, der nicht nur in seinem Heimatland als Kuriosum gilt: Hans Breuer, der letzte Wanderschäfer Österreichs, der mit seinen 625 Schafen durch Wien, Niederösterreich und die Steiermark zieht und dabei jiddische Lieder singt. Bei einem Diavortrag in New York begegnen sich die beiden unterschiedlichen Männer - und der 25-jährige Sam Apple beschließt, nach Österreich, ins Herz des Nationalsozialismus, zu reisen und Breuer ein paar Monate mit seinen Schafen zu begleiten.

Väterlicherseits bin ich Amerikaner der zweiten, mütterlicherseits der dritten Generation. (...) Die Grenze zwischen Jude und Nichtjude war bei mir genauso scharf gezogen wie bei jedem Antisemiten. Als ich (...) nach Österreich aufbrach, um über Juden, Nichtjuden und Antisemitismus nachzudenken, hatte ich einiges mehr an Gepäck dabei als nur meinen Rucksack.

Die Vorurteile, die Sam Apple zwischen seinen Designerstiefeln und dem Aufnahmegerät mit sich herumschleppt, sind ebenso Besonderheit wie auch Schwachpunkt des Romans. Einerseits unterhält uns der Neurotiker Apple mit entwaffnend ehrlicher und sehr komischer Offenherzigkeit à la Woody Allen, andererseits läuft die Geschichte dadurch aber auch nie Gefahr, ein Stückchen tiefer zu gehen. Vom ersten Kapitel an ist klar, dass Apple hier mit Provokation spielt, die Extreme ausreizt und in schöne Schwarz-weiß-Kästchen sortiert.

Symbol des Widerstands

Die zweite Hauptfigur, der Wanderschäfer Hans Breuer, ist am Talkshow-Sofa genauso zu Hause wie in den diversen österreichischen Kulturzentren, und auf seiner umfassenden Website lädt er zum Mitwandern und Musizieren ein. Allein die Darstellung seines Tagesablaufs ist die Lektüre von "Schlepping durch die Alpen" bereits wert. Doch Hans Breuer wird im Roman eine andere Aufgabe zuteil: Als Sohn eines jüdischen Vaters und einer kommunistischen Mutter wird er zum Symbol des linken Widerstands im Nachkriegsösterreich.

"Ich kam nach dem Holocaust zur Welt, ich wusste, dass meine Mutter gefoltert wurde. Für mich war alles kaputt. In der Mitte war dieses große, kaputte Etwas. Keine Heimat. Keine Nation. Kein Gefühl von Sicherheit. Überall Verbrecher. Und bei so einem Hintergrund und bei allem, was ich von meinen Eltern gelernt hatte, stand ich vor der Wahl, entweder mich vor lauter Angst nicht zu rühren oder radikal zu werden."

Breuer wurde radikal. Wir erfahren von Demos und Kundgebungen in den 1960ern, die die NS-Verbrechen thematisierten. Wir erfahren vom aussichtslos scheinenden Kampf gegen die politische Rehabilitierung vieler Kriegsverbrecher. Und wir erfahren von der linksradikalen Splittergruppe Spartakus, die sich nach Frankreich absetzte um dort eine neue Gesellschaft zu erschaffen. Hans Breuer steht stellvertretend für ein Österreich, das es in der damaligen Öffentlichkeit, wo gemeinschaftlich die Wunden versorgt und die Häuser wieder aufgebaut wurden, nicht gab.

Eingestreute Fakten

Zwischen die Lebensgeschichte von Hans Breuer und seine Wanderung mit den Schafen streut Sam Apple Daten und Fakten von Pogromen, die sich im Raum Österreich abgespielt haben. Er thematisiert den Wahlerfolg der FPÖ, die "ein direkter Nachfahre der österreichischen NSDAP" sei, wie Apple schreibt. Und er reist nach Kärnten und fragt die Menschen dort, ob sie finden, dass Österreich angemessen mit seiner Vergangenheitsbewältigung umgehe. Dazwischen begegnet er noch dem weltbesten Sensenmäher, besucht das Donauinselfest, verliebt sich in eine Wienerin und freundet sich mit verkleideten Mozarts an.

In den USA wurden Sam Apples Notizen über seine Zeit in Österreich begeistert aufgenommen. Die romanbedingte Vereinfachung und Unschärfe der politischen Situation in Österreich ist für die amerikanische Leserschaft vermutlich nebensächlich. Als in Österreich lebender Mensch allerdings verzeiht man ihm nicht so leicht, wenn er die SPÖ mit der ÖVP verwechselt oder Meinungsumfragen mit nur fünf Personen durchführt. Es ist sein subjektiver Blick von außen und die dazugehörigen Beurteilungen, die während des Lesens ununterbrochen dazu zwingen, Stellung zu beziehen und die eigene Auffassung zu überdenken - eine Fingerübung, die man ja immer wieder mal machen sollte. "Schlepping durch die Alpen" ist ein guter Anlass dazu.

Service

Sam Apple, "Schlepping durch die Alpen. Ein etwas anderes Reisebuch", aus dem Amerikanischen übersetzt von Monika Schmalz, Atrium Verlag

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