Schlepping durch die Alpen

Ein New Yorker auf Wanderung

Man nehme einen neurotischen New Yorker Journalisten und einen jiddische Lieder singenden Wanderschäfer, füge 625 Schafe hinzu und man erhält eine wilde, Woody-Allen'sche Mischung. Die kitschige Vorstellung vom süßen Wanderleben war eben trügerisch.

New York sei den Alpen gar nicht so unähnlich, meint Sam Apple im 23. Stock eines Apartmenthauses in Downtown Manhattan. Tatsächlich denkt man gerade im Sommer beim Anblick des einen oder anderen von der Sonne geküssten Blechdachs an gleißende Gletscher. Da werden gleich Sam Apples Erinnerungen an die skurrilen Erfahrungen in den österreichischen Alpen mit dem singenden Wanderschäfer Hans Breuer wach.

Hans Breuer, Österreichs letzter Wanderschäfer, singt jiddische Lieder - meist für seine Schafe, manchmal aber auch für Menschen. Und selten, aber doch in New York. Sam Apple hatte das Vergnügen, einem Konzert beizuwohnen, und war vom jiddisch singenden Österreicher so fasziniert, dass er vereinbarte, mit ihm gemeinsam Schafe durch die Alpen zu treiben. Die emotionale Nähe zum Jiddischen rührt bei Sam Apple daher, dass seine Großmutter mit ihm jiddisch sprach, ihm jiddisch vorsang.

Überleben in der freien Wildbahn

Sam Apple beschreibt sich selbst als schwer neurotisch und völlig unerfahren im Überleben in der freien Wildbahn. Dementsprechend schlecht ist er auf das Wanderschäferdasein vorbereitet. 50 Paar Tageslinsen und einen Zwölferpack Dental Dots - Einwegzahnbürsten, die man sich auf die Fingerkuppe klebt -, keine Wanderschuhe, keine Regenjacke, keinen Pullover und keine Uhr. Hätte Sam Apple gewusst, was auf in zukommt, hätte er sich wohl nie auf das Abenteuer eingelassen, denn der Großstadtneurotiker Sam Apple hat in den Alpen mit einigen hypochondrischen Anfällen zu kämpfen.

Das Wanderschäferleben ist dennoch faszinierend, erklärt Sam Apple, denn man beschäftigt sich viel weniger mit der schönen Landschaft oder damit, den kürzesten Weg zu finden, und viel mehr damit, wo man die 625 Schafe hintreiben könnte, damit sie genug zu fressen bekommen. Die größte Schwierigkeit ist dabei, Wiesen zu finden, von denen man nicht sofort wieder von einem wütenden Bauern vertrieben wird.

Das "andere" Heimatmuseum

Wanderschäfer sein, das heißt für Hans Breuer, dem letzten Wanderschäfer Österreichs, sich der Natur auszusetzen: den bluthungrigen Stechmücken, der sengenden Hitze, dem Hagelsturm, den Krallen des Dornenbusches, denn man muss die Windschutz suchenden Lämmer während des Sturms aus dem Unterholz fischen. Als Wanderschäfer muss man fahrende Autos auf der Landstraße zum Stehen bringen und sich mit den Gesetzen gut auskennen, denn Genehmigungen für Wanderschäfer gibt es nicht. Dass man Schafe auf der Straße treiben darf, kann kaum ein Polizist glauben, dabei steht das in der Straßenverkehrsordnung ungefähr bei Paragraph 80.

Vom singenden Wanderschäfer Hans Breuer durch die österreichischen Alpen geführt, stieß Sam Apple etwa auf "das andere Heimatmuseum" im steirischen Schloss Lind, durch das er von einem, bis auf Socken und Schuhe splitternackten, Mann geführt wurde. Die Exponate, unter ihnen Plakate, rostige Sensen und ausgestopfte Stiefel, zeigten, wie die Alpenmetaphorik von den österreichischen Faschisten bei ihrem ideologischen Kampf gegen Juden und Ausländer missbraucht wurde. Juden war es durch eine 1938 abgedruckte Erklärung verboten, alpenländische Trachten wie Lederhosen, Joppen, Dirndlkleider oder Tirolerhüte zu tragen. Im Roman "Schlepping durch die Alpen" schlug sich das so nieder.

Ich leihe mir Lederhose, Kniestrümpfe und einen spitzen, grünen Federhut und gehe, nein stolziere wie John Travolta in der Anfangsszene von "Saturday Night Fever" durch die Alpenlandschaft. Anders als Travolta singe ich höchstpersönlich in meiner schönsten Bee-Gees-Stimme "Stayin'Alive".

Jüdische Handelsrouten

Wenn man an jüdische Geschichte in Österreich denkt, dann wohl eher an Wien und vor allem an den 2. Bezirk. Die Alpen assoziiert man nicht unbedingt mit jüdischem Leben. Aber schon im späten Mittelalter war es Juden meist vorenthalten, angesehene Berufe zu ergreifen oder Land zu besitzen, also wurden viele von ihnen Pfandleiher oder Händler. Und ihre Handelsrouten führten durch die Alpen.

Abermals durch die Alpen wurden Juden auf den sogenannten Todesmärschen getrieben. Etwa beim Massaker von Präbichl im April 1945. Was viele Juden während des Nationalsozialismus und in der Zeit danach am Leben gehalten hat, war ihr Humor. Das ist zumindest eine Theorie zum selbstironischen jüdischen Humor und Witz.

Die Tour d'Autriche war für Sam Apple keineswegs nur eine traurige und bittere Konfrontation mit der österreichischen Geschichte rund um den Holocaust. Viel zu aufregend waren die grünen saftigen Wiesen, das Weiterwandern mit blasenübersäten Füßen und das Zähmen von unbändigen Schafen. Bei Letzterem schwört der Wanderschäfer Hans Breuer auf das Singen, vor allem auf das Singen jiddischer Lieder.

Sommer- und Winterwanderung

Hans Breuers Wanderroute führt im Herbst von Judenburg aus nach Osten, durch das Murtal bis in den Raum Leoben, wo der Herde ein paar Rasttage gegönnt werden. Vor Bruck wird nach Süden abgezweigt, die so genannte "Gastarbeiterroute" gequert und nach Miesenbach marschiert.

Erst wenn der Winter schon Einzug gehalten hat, geht es in die Niederungen des Lafnitztals im burgenländisch-steirischen Grenzgebiet und schließlich weiter über den Wechsel ins niederösterreichische Industrieviertel, um dann gegen Ende des Winters im Raum Wien anzukommen.

Anfang Mai geht es über den Wechsel dann wieder auf die Alm auf die Kulmeralpe am Zirbitzkogel. Wer will, kann mitwandern, die Strapazen überstanden hat selbst ein New Yorker Journalist.

Service

Sam Apple, "Schlepping durch die Alpen. Ein etwas anderes Reisebuch", aus dem Amerikanischen übersetzt von Monika Schmalz, Atrium Verlag

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