Hybridwesen von heute

Schimären

In der antiken Mythologie hatten Mischwesen Hochkonjunktur, egal ob Kentaur, Sphinx oder Meerjungfrau. Die moderne Wissenschaft holt die Schimäre aus dem Fantasiereich in die Wirklichkeit und schafft zum Beispiel Hybridwesen aus Kuh und Mensch.

Die Chimäre der griechischen Antike ist ein Mischwesen aus Löwe, Ziege und Schlange. Wie die meisten ihrer Verwandten ist sie bis zu ihrem Tod ein Monster und tyrannisiert den Landstrich Lykien in Kleinasien. Erst als sie ein beherzter Kämpfer tötet, wird sie zu einem Übel abwehrenden Wesen, das den Menschen Schutz bietet. Deshalb findet man Schimären heute noch auf Kirchenportalen.

Das geflügelte Pferd, der Pegasus, ist hingegen positiv besetzt. Er vereint die Schnelligkeit des Pferdes mit der dritten Dimension des Vogels. Und die aus Ägypten stammende Sphinx mit dem geflügelten Löwenleib und dem Mädchenkopf steht nicht nur für Grausamkeit und Unheil, sondern auch für die Rätselhaftigkeit des Lebens und den Wissensdurst des Menschen. Immer verbinden die Mischwesen Elemente und Aggregatzustände, die so nicht zusammen gehören: etwa Feuer und Luft oder Wasser und Feuer, wie bei der Chimäre. Hinter den antiken genetischen Fusionsexperimenten steht unter anderem ein prometheisches Projekt, meint der Wiener Archäologe Friedrich Krinzinger: dass Welt und Mensch nämlich besser werden mögen.

Schimären im Krankenbett

Etwas weniger plakativ als jene der griechischen Mythologie sind die Mischwesen der Medizin. Wer durch eine Transplantation ein fremdes Herz erhält, integriert einen Teil des Immunsystems des Organspenders in seinen Körper. Transplantationsspezialisten wie Ferdinand Mühlbacher vom AKH in Wien nennen dieses Phänomen "Mikrochimärismus".

In Experimenten mit Mäusen haben Mediziner gezeigt, dass ein kontrolliert erzeugter "Mikrochimärismus" Abstoßungsreaktionen verhindern kann, indem man durch eine Knochenmarkspende des Spenders den Empfänger auf die fremden Immunzellen vorbereitet. Allein: Dazu müssen die Mäuse zum Beispiel schwer immunsupprimiert bzw. einer Ganzkörperbestrahlung unterzogen werden. Deshalb ist das Verfahren in der derzeitigen Form für Menschen noch überhaupt nicht geeignet.

Geschlechtsübergreifende Organverpflanzung
Für die Organ-Verpflanzer ist es wichtig, dass Herz, Niere oder Leber nicht nur vom Gewebetyp zum Empfänger passen, sondern auch in der Größe. Ob ein Organ von einem Mann oder einer Frau stammt, ist dabei unerheblich. Deswegen wird immer wieder über die Geschlechtergrenze hinweg verpflanzt - also etwa ein Frauenherz in einen Mann. Was dazu führt, dass eine Mann-Frau-Schimäre entsteht, allerdings nur auf mikroskopischer Ebene.

Ob so eine Verpflanzung zwischen Mann und Frau den Hormonhaushalt des Organempfängers verändert - er ist ja nun auf Mikroebene leicht zweigeschlechtlich -, darüber gibt es keine Untersuchungen. In Einzelfällen gibt es auch ganz natürlich Menschen mit männlichem und weiblichem Genom: Wenn zweieiige Zwillinge im Embryonalstadium verschmelzen und ein Kind daraus entsteht.

Menschenkühe und Schiegen
Schimären im engsten biologischen Sinn sind Wesen, die zwei vollständige Genome in sich tragen - so wie die 1984 geborene Schiege, die aus der Verschmelzung eines Schaf- und eines Ziegenembryos entstand. In der Entwicklungsforschung sind solche Mischwesen, vor allem chimäre Mäuse, längst unverzichtbar. Sie haben der Embryologie bereits in den 1960er Jahren zu immensen Erkenntnisschüben verholfen. Da wurden zum Beispiel Embryonalzellen einer schwarzen und einer weißen Maus fusioniert. Die daraus entstehenden schwarz-weiß gefleckten Mäuse waren nicht nur putzig anzuschauen, die Forscher konnten damit auch sehen, aus welchen Zellen welche Organe entstanden.

Jetzt versucht man zu verstehen, wie sich menschliche embryonale Stammzellen zu Herz oder Niere entwickeln. Die Vision: Stammzellen etwa zur Reparatur von kaputtem Herzgewebe nach einem Infarkt einsetzen zu können, denn embryonale Stammzellen sind die Alleskönner unter den Zellen. Sie können sich in jeden der rund 200 Gewebetypen in unserem Gewebe entwickeln, vom Herzmuskel bis zur Haut.

Schimären zur Erforschung
Es gibt aber einen Knackpunkt dabei: Menschliche embryonale Stammzellen kann man nur aus menschlichen Embryos gewinnen, zum Beispiel aus jenen, die bei künstlichen Befruchtungen übrig bleiben. Ob das nun erlaubt sein soll oder nicht, darüber sind sich Gesellschaften weltweit nicht einig.

Der britische Stammzellforscher Stephen Minger von Kings College in London will deshalb Schimären zur Erforschung der humanen Embryonalzellen nutzen. Er nimmt die Eizelle einer Kuh, entfernt den Zellkern mit dem tierischen Erbgut und ersetzt ihn mit den Genen eines Menschen. Es entsteht eine Schimäre aus Mensch und Tier. "Warum wollen wir das machen? Weil wir damit Stammzell-Linien von Menschen erzeugen können, die an genetisch bedingten neurologischen Krankheiten leiden, zum Beispiel Alzheimer, Parkinson oder Muskelschwund. Mit den Stammzelllinien können wir uns die Entwicklung der Krankheiten ansehen. Wenn wir sie in der Petrischale verstehen, können wir vielleicht neue Therapien entwickeln", so Minger.

Gespendete Eizellen, wie in Großbritannien legal, möchte Minger nicht heranziehen. Der Eingriff sei sehr belastend für die Frauen, außerdem sind die Erfolgsraten beim Kerntransfer noch sehr gering.

Für den Wiener Genetiker Erwin Wagner vom Institut für Molekulare Pathologie IMP ist das Konzept von Stephen Minger eine Notlösung. Die tierischen Zellen würden zu viele Unbekannte enthalten.

Menschenzellen in Mäusen
Zweifelhafter als Mingers Absicht scheinen andere Schimären-Experimente. Zum Beispiel wurden in den USA menschliche embryonale Stammzellen in das Gehirn eines Mäuse-Fötus verpflanzt. In einem Teil des Mäusegehirns entwickelten sich daraufhin menschliche Nervenzellen.

1997 transplantierten amerikanische Forscher embryonales Hirngewebe einer Wachtel in einen Hühnerembryo. Das Resultat: Das Huhn krähte wie eine Wachtel.

In China hat man schon Embryonalzellen von Menschen und Affen gekreuzt, um zu sehen, wie und wie weit sich solche Schimären entwickeln. Derartige Versuche rufen Kritiker wie Jeremy Rifkin auf den Plan. "Mit den Chimären-Experimenten riskieren wir, die biologische Integrität unserer eigenen Spezies zu unterminieren", befürchtet Rifkin.

Erwin Wagner nennt solche Experimente lapidar: "Hanebüchen."

Dimensionen, Montag, 17. Dezember 2007, 19:05 Uhr