Authentisches und frei Erfundenes
Pazifik Exil
Thomas Mann, Bert Brecht, Franz Werfel, Lion Feuchtwanger, Heinrich Mann und Arnold Schönberg sind die Künstler, mit denen sich Michael Lentz in seinem Buch "Pazifik Exil" auseinandersetzt. Sie alle flohen vor den Nazis ins amerikanische Exil.
8. April 2017, 21:58
Heimatlosigkeit? Ich habe Umgang mit mir selbst, hier wie dort. Allein sein zu können, das ist doch das Wichtigste. Meine Heimat sind meine Arbeiten, die ich immer mit mir führe, in die ich mich vertiefen kann, die ich selbst bin. Wir sind bei uns, egal wo. Wenn ich mich nur in meine Arbeiten vertiefe, ist mir das alles Zuhause, das ich mir nur wünschen kann. Meine Arbeiten sind Überlieferungsgut meines Landes und meines Volkes. Deutschland ist in mir. Wo ich bin, ist Deutschland. Das Zentrum Deutschlands ist in mir, weil mein Zentrum in mir ist. Was heißt da, weit weg zu sein? Und weit weg wovon?
Über Thomas Mann & Co im amerikanischen Exil
So lässt der deutsche Autor Michael Lentz Thomas Mann über sein amerikanisches Exil nachgrübeln. Ein Exil, das Mann mit zahlreichen anderen bekannten Schicksalsgenossen teilt: mit Bert Brecht etwa, mit Franz Werfel und Lion Feuchtwanger, mit Heinrich Mann oder mit Arnold Schönberg. Sie alle flohen vor den Nationalsozialisten und dem Zweiten Weltkrieg und fanden sich schließlich an der Pazifikküste wieder.
"Pazifik Exil“ heißt denn auch der Roman von Michael Lentz, in dem dieser sich mit dem Leben der Künstler und Intellektuellen in den USA beschäftigt. Aber er tut dies nicht als Historiker, sondern eben als Literat, und so ist sein Buch eine Sammlung von teils authentischen, teils erfundenen Begebenheiten:
Ein Thema, das nicht klein sein kann
"Es hat sich aus dem Kleinen heraus ergeben", so der Autor über das Thema seines Romans, "also eine intensive Beschäftigung mit den Biographien dieser Leute schon teilweise in der Schulzeit, und mit der Zeit dann Wiederentdeckungen über Beschäftigung mit Exilforschung. Das sollte erst was Kleineres werden und dann stellte ich fest: Das Thema konnte nicht klein bleiben, sowohl von den biographischen Aufrissen nicht, wie auch von der erzählerischen Anlage her. Ich wollte dann weg vom Anekdotismus und so weiter. Oder ich wollte auch eigene Anekdoten erfinden."
Biographische Anekdoten aus der Ich-Perspektive
Und so berichtet und erfindet Michael Lentz und hält die Grenze zwischen beidem bewusst offen. Er lässt etwa Arnold Schönberg ausführlich über seinen Sessel grübeln, in dem einst Richard Wagner gesessen haben soll und den Thomas Mann sich voll Begeisterung auslieh. Er erzählt von Bert Brecht, der in Hausschuhen zu einer Cocktailparty aufbricht und sich weigert, das Auto zu nehmen, weil dieses für amerikanische Straßen viel zu schade sei. Oder von Alma Mahler-Werfel, die ungerührt in einer jüdischen Gesellschaft den deutschen Arier in den Himmel hebt.
Er erzählt von Heinrich Mann, der den Selbstmord seiner Frau Nelly nicht verkraften kann und von einer imaginären Diskussion über Pelikane zwischen Thomas Mann und Lion Feuchtwanger. Manchmal berichtet Lentz aus einer distanzierten Perspektive, oft aber versetzt er sich direkt in die jeweilige Person und ihre Gedanken- und Gefühlswelt.
Präsens und Präsenz
"Aus der Er-Perspektive oder Sie-Perspektive zu schreiben wäre mir schwieriger vorgekommen und auch zu distanziert, dann einfach auch von der Sache und von dem simulierten persönlichen Erleben zu weit weg", so Lentz. "Das kann man als Anmaßung sehen, es war für mich aber der einzige Weg, tatsächlich über eine gewisse atmosphärische Auflage Intensität zu erzeugen. Der Versuch war nicht, historisch-künstliche Aktualität zu schaffen, sondern Aktualität durch Intensität zu schaffen, so dass dann die redenden Leute, die aus der Vergangenheit heraus reden, Präsenz schaffen. Präsens und Präsenz, beides."
Persönliche Vorlieben spielten für Lentz dabei nur eine untergeordnete Rolle. Nicht alle seiner Protagonisten liegen künstlerisch auf seiner Linie, aber irgendwie konnte er allen nahe genug kommen, um sie nicht nur als historische Figuren glaubwürdig werden zu lassen.
Exil als Bewusstseinsfrage
Hinter den teils skurrilen, teils humorvollen und teils düsteren Berichten und Anekdoten, hinter dem reizvollen Spiel mit biographischen Fakten und eigener Imagination liegt aber noch eine zweite Ebene - jene der intensiven Beschäftigung mit dem Begriff Exil. Wohl fällt es etwa Bert Brecht oder Thomas Mann leichter, sich in den USA zurechtzufinden als etwa Arnold Schönberg, aber sie alle sind letztlich in der Fremde, an einem Ort, der nie wirklich eine Heimat werden kann.
Gerade dieser Punkt hat Michael Lentz bei seiner Arbeit am meisten interessiert: "Exil ist auch eine Bewusstseinsfrage. Und zwar der Unausweichlichkeit, dass man sagt: ja, aber ich bin hier nicht zu Hause. Punkt. Also ich glaube nicht, dass man sich beliebig anderswohin verpflanzen kann und so tun, als ginge eine Assimilation ganz locker. Und das hier gewendet auf die zeitliche Situation von Leuten, die aus dem Ausland nach Deutschland oder auch nach Österreich ziehen und - ja, natürlich kann man dann vielleicht irgendwann sagen, die sollten sich doch nach soundso viel Jahren mal angewöhnen, zu gucken, dass sie in der Landessprache kommunizieren, sich wenigstens da Mühe geben et cetera. Ja, das ist letztlich aber, glaube ich, nicht der entscheidende existentielle Hintergrund. Der existentielle entscheidende Hintergrund ist derselbe. Das unausgesetzte Bewusstsein: Ich bin hier nicht zu Hause. Das ist ein ganz einfacher Satz, der glaube ich in jede Landessprache zu übersetzen ist und auch in jeder Landessprache übersetzt, das ist keine Dichtung, zu verstehen wäre."
Der Text folgt der Struktur
Und so ist "Pazifik Exil“ weit mehr als nur eine amüsante Sammlung verschiedener Anekdoten. Es ist vielmehr ein Buch, das sich auf kluge Weise mit der höchst aktuellen Frage nach Wurzeln und Entwurzelung befasst und diese aus zahlreichen verschiedenen Perspektiven beleuchtet.
Die Leichtigkeit, mit der die Arbeit dem Autor von der Hand ging, spiegelt sich im Text wider und strukturelle Finessen erscheinen dadurch unaufdringlich und wie selbstverständlich.
Der Mensch im Vordergrund
Ein gelungenes Buch also, das sich auf ungewöhnliche, aber außerordentlich interessante Weise mit der deutschen Vergangenheit befasst - und das beileibe nicht nur für einen literarisch vorgebildeten Leser gedacht ist: "Es geht wie gesagt um Präsenz, Intensität und das ganz einfache Wort, aber so schwer zu erzeugen: Atmosphäre. Es werden Figuren geschildert, die so weit von einer menschlichen Seite gezeigt werden, dass die Grundkonstellation, Mensch zu sein so im Vordergrund steht, dass es eigentlich keines Vorwissens oder sonstiger Dinge bedarf, um das zu verstehen."
Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr
Buch-Tipp
Michael Lentz, "Pazifik Exil", Fischer Verlag, ISBN 9783100439253