Requiem für den Vater

Roppongi

Der Vater und das Sterben sind die beiden großen Themen im literarischen Werk des Kärntner Autors Josef Winkler. Das Schicksal vereinigte beide vor wenigen Jahren. Den Tod des Vaters hat der Schriftsteller nun in seiner neuen Novelle "Roppongi" verarbeitet.

Der Vater und das Sterben sind die beiden großen Themen im literarischen Werk des Kärntner Autors Josef Winkler. In mehreren autobiografischen Romanen und Novellen beschäftigte er sich intensiv mit seiner Kindheit als ungeliebter Bauernsohn in einem streng katholischen Umfeld und seinen zahlreichen Begegnungen mit dem Tod.

Das Schicksal vereinigte vor wenigen Jahren diese beiden Eckpunkte in Winklers Leben. Den Tod des Vaters hat der in Klagenfurt lebende Schriftsteller nun in seiner neuen Novelle "Roppongi" verarbeitet.

Mit den geerbten Schuhen seines Bruders, unseres Onkel Hans, dem braunen Kärntneranzug, der roten Krawatte, weißem Hemd, die von einem Rosenkranz umwickelten Hände zum christlichen Gebet gefaltet und, wie es hieß, wohlversehen mit den heiligen Sterbesakramenten, lag er in der Feistritzer Leichenhalle, umgeben von Blumenkränzen, im Sarg.

Bewusstes Fernbleiben

Als Josef Winkler vor wenigen Jahren mit seiner Familie in Roppongi, einem Stadtteil von Tokio weilte, erhielt er die Nachricht vom Tod seines Vaters im Alter von 99 Jahren. Jener Vater, der übermächtig nicht nur seine Kindheit, sondern auch sein Schreiben geprägt hat.

Der tyrannische Bauer aus dem kleinen, katholischen Kärntner Dorf Kamering, der ihn als einziges von sechs Kindern nie auf dem Schoß sitzen ließ, der ihm Zeit seines Lebens die Liebe verweigerte und der acht Jahrzehnte, ohne je krank gewesen zu sein, tagtäglich am Feld arbeitete.

Fast all seine Romane und Novellen wie etwa "Menschenkind", "Der Ackermann aus Kärnten", "Muttersprache" oder "Leichnam, seine Familie belauernd" kreisen geradezu besessen um die Beziehung zum verhassten Vater, der über seinen Sohn sagte, dass dieser erst nach seinem Tod das Thema wechseln würde.

Ich war froh, in Roppongi geblieben zu sein, so dass ich beim Begräbnis des Vaters das Zügenläuten, das Geläute der kleinsten, den Tod ankündigenden und seit meiner Kindheit mein kleines kreuz und quer pochendes Kinderherz in Angst versetzenden Glocke meines Heimatdorfes, nicht hören musste.

Heuchler und Beileidsmenschen
In einem Hotel im fernen Japan sinniert Winkler in immer neuen Schüben über Leben, Tod und Begräbnis. Aus der Perspektive eines Trauernden blickt er noch einmal zurück auf die wesentlichen, den Menschen Josef Winkler formenden Erlebnisse in der Kärntner Provinz.

Noch einmal leuchtet er in die verborgensten Winkel seiner Kindheit, ins rustikale Bauernhaus mit den vergilbten Fotografien der Urahnen an der Wand, das der Vater in 99 Jahren nur während der Kriegsjahre verlassen hatte.

Jakob Winkler vulgo Enz, der als dreijähriger einen Finger verlor, weil er schon beim Heuschneiden mitarbeiten musste, der die Schafe seines Hofes an ihren Gesichtszügen erkannte, dessen Bruder bei der SS war, der erst im Alter von 95 die Mistgabel endgültig aus der Hand gelegt hatte und dessen größte Sorge war, dass der schreibende Sohn nur ja keine Schande über Familie und Dorfgemeinschaft bringen solle.

Noch einmal tritt es auf, das absurde, brutale, reale Dorftheater: der brandstiftende Bilderbuchfeuerwehrmann, der neidische Nachbarbauer, der versoffene Maulheld, dessen Schweine sich an seinen Hoden rächten, die dreisten Kirchendiebe, der polternde Pfarrer und schließlich die "Heuchler und Beileidsmenschen des Dorfes Kamering, von denen nicht wenige lieber mich als den Hundertjährigen in der Grube verscharrt hätten."

Keine Angst vor Winnetou
In "Roppongi" rekapituliert und verdichtet Winkler aber auch seine Beziehung und Erfahrung mit dem Tod. In seinen typischen der reinen Ästhetik unterworfenen, präzisen, langen Sätzen stellt er ländliche Beerdigungsszenen seinen intensiven Beobachtungen der Einäscherungsrituale am Ganges gegenüber und scheut sich nicht, auch der Todespassage in Winnetou III seine Referenz zu erweisen.

Das Requiem für den Vater wird so zu einem weiteren Teil des Gesamtwerkes, das Themen und Schlüsselereignisse immer wieder aufgreift und weiterspinnt. Ein spannendes, neues Kapitel in Josef Winklers manischer, von eigenwilligen Sprachbildern durchsetzter Selbstfindung.

Wenn du nicht in einem Leichentuch lebst, kannst du nicht schreiben, du brauchst das Unglück, um dich überhaupt ausdrücken zu können! Du bist der Lebende, über den Tod schreibende Leichnam! habe ich einmal geschrieben. Vater, dir leb ich, Vater, dir sterb ich!

"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.

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Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Josef Winkler, "Roppongi", Suhrkamp Verlag, ISBN 9783-518419212

Link
Suhrkamp - Rappongi