Jelineks "Bambiland" als Performance im Stadtraum
Claudia Bosse
Seit Jahren betreibt die Formation Theatercombinat um Claudia Bosse eine sehr eigenwillige und intellektuelle Form der Theaterarbeit. Derzeit setzt sie Elfriede Jelineks "Bambiland" an verschiedenen Orten Wiens im öffentlichen Stadtraum in Szene.
8. April 2017, 21:58
Claudia Bosse im Gespräch mit Maria Rennhofer
Weiß maskierte Menschen schieben in Gruppen-Choreographie Gepäckwägen, auf denen Lautsprecher und Parabolspiegel montiert sind. Text-Fetzen wehen über den Platz: "Der Bush und der Blair", hört man, "Dick Cheney" und: "Was macht der Krieg?"
Zurück zum Text
Als Christoph Schlingensief vor fünf Jahren Elfriede Jelineks "Bambiland" am Burgtheater zur Uraufführung brachte, ließ er in seiner sehr freien Uraufführungs-Inszenierung den Text nahezu unberücksichtigt. Den bringt die Freie Gruppe Theatercombinat nun seit gestern, Mittwoch, gesprochen von Anne Bennent ungekürzt zur Aufführung: als Beschallung von wechselnden öffentlichen Räumen. Gestartet wurde "bambiland08" am Wiener Schwarzenbergplatz.
Es ist eine eindrucksvolle Stimmung, die mit dem "installativen Setting" (Konzept: Claudia Bosse) erzeugt wird. Die einbrechende Dämmerung, das über dem Karlsplatz erkennbare Abendrot, die sich einschaltende Straßen- und Platzbeleuchtung am Schwarzenbergplatz, die auch in den Asphalt eingelassene Lichtstreifen umfasst, wirken als raffiniertes Lichtkonzept, der rundum tosende Verkehr bildet eine Geräuschkulisse, gegen die sich die Tonspur erst durchsetzen muss.
Freie Szene
Durch die immer wieder bewegten Vehikel und die Parabol-Lautsprecher ändern sich Fokus und Lautstärke des gesprochenen Textes ständig. Die Besucher können sich frei bewegen und so auch selbst bestimmen, wie konzentriert sie der Stimme Bennents folgen wollen, die immer wieder technisch vervielfältigt vom Monolog zum Chor wird.
Rundum sind weitere maskierte Mitspieler auf Schiedsrichterstühlen postiert, die Lautsprecherwägen werden durch einige geschobene Fernseh-Trolleys ergänzt. Dazwischen schlendern und plaudern Theaterfans, immer wieder bleiben interessierte Passanten stehen. Kaum jemand hört sich den Jelinek-Text in seiner kompletten, dreistündigen Länge an, diesen überhöhten und auf Aischylos' "Perser" projizierten Kriegsbericht aus dem Golfkrieg. Das ist auch nicht nötig, ihre Wirkung entfaltet diese Performance im öffentlichen Raum auch so. Und während man Sätze wie "Gott bitte kommen! Neues Gesetz bringen!" oder "Wir haben recht!" hört, entdeckt man an einem benachbarten Haus ein großes Text-Transparent. "Ich bin, wer ich bin. Wegen jedem von ihnen", liest man hier, "Zusammen sind wir mehr." Das könnte durchaus Teil der Performance sein. Ist aber eine Werbung für den Mobilfunkbetreiber Orange.
Wahlschluss
Nach dem Auftakt am Schwarzenbergplatz wandert die Performance in den kommenden Tagen über Donaukanal (Samstag ab 18 Uhr zwischen Schwedenbrücke und Salztorbrücke), Haus des Meeres (21.10.), MAK-Gegenwartskunstdepot im Gefechtsturm (26.10.), über eine Radioeinheit bei Orange und Innenhöfe am Rennbahnweg schließlich wieder zurück zum Schwarzenbergplatz. Der Schlusstag (4.11.) ist zugleich Wahltag in den USA.
Hör-Tipp
Im Künstlerzimmer, Claudia Bosse, Sonntag, 26. Oktober 2008, 11:31 Uhr
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Theaterkombinat