Nicht Fair
Wirtschaftswachstum
Die Finanzmärkte crashen. Die Gier aufs schnelle Geld, das unverhältnismäßige Wirtschaftswachstum durch Spekulation, hinterlässt Gewinner wie Verlierer. Nun droht eine Rezession. Die aktuelle Finanzkrise führt zu großer Unsicherheit und auch zu Armut.
8. April 2017, 21:58
Während Panik an den Börsen herrscht, freuen sich ein paar wenige, weil sie das große Los gezogen haben. Gerecht ist das nicht, meint der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz. Man müsse bessere Kontrollmechanismen haben, um faule Kredite nicht weiterverkaufen zu können und um kurzfristige Spekulationen zu drosseln.
Auch Christoph Leitl, Präsident der österreichischen Wirtschaftskammer, schätzt kurzfristige Spekulationsgeschäfte nicht. Er sieht sie und die unverhältnismäßig hohen Managergehälter als Schädigung der Marktwirtschaft. Auch die Verschmutzung der Umwelt sei nicht im Interesse der Nachhaltigkeit. Daher müsse auf qualitatives, nicht auf quantitatives Wachstum gesetzt werden in Europa. Qualitatives Wachstum ist die Steigerung der Lebensqualität, während quantitatives Wachstum lediglich die Steigerung des Outputs umfasst.
Was ist Wachstum?
Joseph Stiglitz, Professor an der Columbia University, möchte Wachstum als Steigerung des Lebensstandards definieren. Und arbeitet daher mit seinem Nobelpreisträgerkollegen Amartya Sen, dem Soziologen Robert Putnam und einigen anderen daran, alternative Wirtschaftsmaßstäbe zu finden.
Denn das Bruttoinlandsprodukt, das herkömmliche Maß für Wirtschaftswachstum, misst lediglich die produzierten Güter und Dienstleistungen eines Landes. Um aber die Steigerung des Lebensstandards errechnen zu können, benötigt man andere Daten, als bisher gesammelt wurden. Joseph Stiglitz geht es etwa darum, Urlaub und Freizeit als Werte anzuerkennen. In den USA behaupten die Menschen, für ihre Familien so hart zu arbeiten. Aber die Menschen arbeiten so viel, dass sie kaum Zeit für ihre Familien haben.
Polemische Wachstumskritik
"Wachstum heißt nicht nur mehr. Wachstum heißt auch besser. Ich denke wir wollen alle ein besseres, glücklicheres, schöneres Leben haben und es gibt viele Probleme, die noch nicht gelöst sind. Insofern brauchen wir Wachstum", erklärt Nikolaus Franke, Leiter des Instituts für Entrepreneuership und Innovation an der Wirtschaftsuniversität Wien.
Manche Kritik am Wachstum beziehe sich nur auf die Menge. "Da wird dann so getan, als wäre jedes Wachstum sofort Umweltbelastung oder Verschwendung. Und es wird vergessen, dass es auch qualitativ sein kann, also Ressourcen schonend", so Nikolaus Franke.
Wachstum könne auch bedeuten, Krankheiten zu bekämpfen, die Umweltverschmutzung zu verringern, Technologien zu erfinden, die Ressourcen schonender sind. Innovation wäre der Schlüssel zu qualitativem Wachstum, einem Wachstum des Lebensstandards also.
Unternehmergeist
Es sei besonders wichtig, dass Unternehmen in ihrer Gesamtheit auf Innovation ausgerichtet werden, folgert Nikolaus Franke. Denn das billigste Produkt ist selten das innovativste und umgekehrt ist das innovativste Produkt selten das billigste. Um Innovation von staatlicher Seite zu begünstigen, werden Förderungen vergeben. Die Förderungsvergabe funktioniere in Österreich besser, als behauptet wird, meint Nikolaus Franke.
Weniger kulturell verankert sei das so genannte "Venture Capital", also privates Kapital, das für Unternehmensgründungen zu Verfügung gestellt wird. Da bestehe in ganz Europa Aufholbedarf. Besonders wichtig, um Innovationen in einem Land zu begünstigen, ist für Nikolaus Franke aber die Einstellung der Menschen gegenüber dem Unternehmertum: "Es wäre schön, wenn es mehr gesellschaftliches Bewusstsein dafür gäbe, dass Gründungsprozesse etwas Wichtiges sind. Das beginnt ganz früh. Wenn Sie so wollen, muss man schon im Kindergarten damit anfangen, den Kindern zu sagen, dass die Dinge nicht einfach auf der Welt sind, sondern geschaffen werden. Man muss Menschen Mut zur Kreativität, Mut zum Entdecken neuer Dinge machen. Und es geht darum, wie man mit Fehlern oder mit Rückschlägen umgeht. Eine Niederlage darf nicht automatisch das Ende bedeuten."
Warum eigentlich Wachstum?
Wachstum ist ein so populäres wirtschaftspolitisches Ziel, weil es einige andere wirtschaftspolitisch erstrebenswerten Ziele mit bedienen kann: Verringerung der Arbeitslosigkeit, Verstärkung der Umweltpolitik und eine gerechtere Einkommensverteilung. Denn wenn mehr produziert wird, bedarf das meist mehr Arbeitskraft, und wenn mehr Geld vorhanden ist, kann mehr Geld in Richtung Nachhaltigkeit gelenkt werden und es gibt auch mehr Geld für Sozialleistungen. Automatisch geht aber keines dieser erstrebenswerten Ziele mit höherem Wachstum einher.
Wachstum ist zudem ein quantifizierbares, messbares Ziel und es ist leicht verständlich. Es ist einfacher, Wachstum anzustreben, als eine gerechte Einkommensverteilung, geringere Arbeitslosigkeit und mehr Umweltschutz bei gleich bleibendem Budget durchzusetzen.
Wie wir leben wollen
Glücklich und zufrieden machen materielle Güter nur sehr bedingt, erklärt Friedrich Hinterberger, Präsident des Sustainable Europe Research Institute. Aber viele Menschen kompensieren ihre Defizite in Sachen Beziehung, innerer Ausgeglichenheit und Verhältnis zur Natur mit Konsum.
"Viele Menschen wollen immer mehr verdienen, um Dinge zu kaufen, die sie nicht brauchen, und Leute zu beeindrucken, die sie nicht mögen," lautet ein gängiges Bonmont zu diesem Verhalten", schreibt Friedrich Hinterberger in seinem Paper Grenzen des Wachstums als die Herausforderung gesellschaftlichen und unternehmerischen Handelns.
Was zu unserem Wohlbefinden und unserem Glück beiträgt, umfasst weit mehr, als Konsumgüter. Wie ein erfülltes Leben aussieht, kann nicht allgemeingültig beantwortet werden. Aber es gibt Standards, die man in den Bereichen Bildung, Infrastruktur, Umwelt, Verteilung, haben beziehungsweise heben möchte.
Nachhaltig wachsen?
"Burnout und Klimawandel haben die gleiche Ursache: wir arbeiten zu viel und zu intensiv", so Friedrich Hinterberger, Präsident des Sustainable Europe Research Institute. Er hält das Platzen der Immobilienblase für eines von vielen Zeichen, dass unser Wachstum eben nicht nachhaltig ist.
Um Nachhaltigkeit zu erreichen, wird es nicht ausreichen, auf alternative Energien zu setzen, meint Karl Aiginger, Leiter des österreichischen Wirtschaftsforschungsinstituts. Energieeffizienz, also weniger Energieverbrauch, sei dringend nötig: "Zehn Standby-Schaltungen in jedem Haushalt sind weder sinnvoll noch notwendig."
Grenzen des Wachstums?
Dreißig Jahre ist es her, dass Dennis Meadows seinen Bericht an den Club of Rome "Die Grenzen des Wachstums" veröffentlichte. Friedrich Hinterberger stellt den Grenzen des Wachstums die Vision der nachhaltigen Entwicklung gegenüber: "Für eine solche Vision lohnt es sich, Verantwortung zu übernehmen."
Versorgung und Nachhaltigkeit
Die Nachhaltigkeit und die Versorgung aller sollten die eigentlichen Ziele einer Gesellschaft sein. "Denn nur wenn alle versorgt sind, und kein Mensch Hunger leidet, kann es einer Gesellschaft gut gehen", sagt Joseph Stiglitz. "Und nur wenn unsere Umwelt nicht weiter zerstört wird, gibt es die Möglichkeit, noch lange gut zu leben." Solange wir Wachstum und Entwicklung über das Bruttoinlandsprodukt erfassen, berechnen wir die falsche Rate.
Wenn also Fehlentwicklungen wie sie sich in der aktuellen Finanzkrise offenbaren weitest möglich unterbunden und explizit nur nachhaltiges und qualitatives Wachstum angestrebt werden soll; Wenn das Ziel so stark eingegrenzt werden muss, damit es als solches bestehen darf, hat Wachstum dann noch Berechtigung?
"Wachstum ist kein Ziel, sondern Mittel zum Zweck", sagt Willem Buiter, Professor für europäische politische Ökonomie.
Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag 22. September bis Donnerstag, 26. September 2008, 9:05 Uhr